Wieder ist ein Exilierter im Kontext des britisch-französischen Grenzregimes gestorben: Am 28. Februar gegen 19:15 Uhr wurde ein Mann aus dem Sudan in der Nähe des Camps Old Lidl an der Grenze Calais‘ zu seiner Nachbargemeinde Marck von einem Zug erfasst und tödlich verletzt. Die Präfektur des Pas-de-Calais gibt sein Alter mit 25 Jahren an. Der Mann sei mit einem Begleiter auf dem Bahngleis unterwegs gewesen, dieser habe nach einem akustischen Signal ausweichen können und sei unverletzt geblieben sei (vgl. InfoMigrants und Nord Littoral). Näheres über die Identität des Opfers ist bislang nicht bekannt.
Der Unfall ereignete sich neben dem Eingang zum Camp, dessen Gelände unmittelbar an das Bahngleis Calais-Dunkerque grenzt. Bereits am 4. November 2021 war eine Gruppe von Geflüchteten an einer anderen Stelle derselben Bahnstrecke von einem Zug erfasst und ein junger Mann aus Eritrea getötet worden (siehe hier).
Im Gewerbegebiet Transmarck, einer auf den Lastkraftverkehr nach Großbritannien spezialisierten Infrastruktur hinter dem Old Lidl, starben am 28. September 2021 Yasser Abdallah (siehe hier), am 21. Oktober 2021 Mohammed Al-Amin (siehe hier), am 20. Dezember 2021 Musab Mahmoud Muhammad Omar (siehe hier) und am 15. Januar 2022 Abdallah (siehe hier). Alle kamen aus dem Sudan. Drei von ihnen waren Jugendliche im Alter von 16 bzw. 18 Jahren. Ein weiterer sudanesischer Mann wurde am 25. Januar 2022 tot an der Autobahn zum Calaiser Fährhafen gefunden (siehe hier).
Dies bedeutet, dass die Bewohner_innen des Old Lidl inzwischen ungefähr einmal im Monat mit dem Tod konfrontiert sind. In dem halben Jahr, in dem sich die Todesfälle derart häuften, setzten die Behörden das Camp immer stärker unter Druck. Nach Calaiser Vorbild verbot die Gemeinde Marck die Verteilung von Trinkwasser, Nahrung und Hilfsgütern am Camp, das zudem mehreren großen Räumungen unterworfen war, und blockierten die Zufahrt zum Gelände durch einen Erwall und einen Graben (siehe hier und hier). Im Kontext des französischen Präsidentschaftswahlkampfs verstieg sich der konservative Parlamentsabgeordnete Pierre-Henri Dumont aus Marck im Januar sogar zu der Ankündigung, zwei Gesetzesentwürfe in die französische Nationalversammlung einzubringen, um ausländischen Hilfsorganisationen ihre Arbeit zu untersagen, wenn sie sich nicht an das Verbot der Hilfsgüterverteilung halten, ihre Mitglieder aus Frankreich auszuweisen sowie französischen Hilfsorganisationen bei entsprechenden Verstößen die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Am frühen Abend des morgigen 2. März findet, wie immer aus solchen Anlässen, am Parc Richelieu in der Calaiser Innenstadt eine Gedenkveranstaltung statt. „Jeden Tag riskieren Menschen aufgrund des Fehlens einer würdigen Aufnahme ihr Leben, um nach England zu gelangen“, schreibt Utopia 56. „Unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen.“