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Frankreich verstärkt die Seenotrettung im Ärmelkanal

Kurz nach dem Jahrestag der schweren Havarie vom 24. November 2021 ordnete die französische Premierministerin Élisabeth Borne nun eine Verstärkung der Seenotrettung für Geflüchtete im Ärmelkanal an. In einem ersten Schritt sollen zwei zusätzliche Schiffe für Rettungseinsätze gechartet, in einem zweiten ein System zur Überwachung der See mit Hilfe von Drohnen installiert werden.

Borne begründete ihren Schritt nicht explizit mit der Havarie vom 24. November 2021 und den jüngst bekannt gewordenen Belegen für das Versagen der zuständigen französischen Leitstelle für die Seenotrettung, das letztlich zum Tod der 31 Passagier_innen geführt hatte (siehe hier). Allerdings liegt der Zusammenhang mit dem Jahrestag und den Enthüllungen aus Sicht französischer Medien auf der Hand und erscheint auch uns schlüssig.

Bekannt gegeben wurde Bornes Entscheidung durch das Secrétariat général de la mer (Generalsekretariat für das Meer, kurz: GSMer). Dieses teilte am 30. November 2022 in einer Presseerklärung mit, die Premierministerin habe „angesichts der steigenden Zahl von Überquerungsversuchen“ und „trotz der Risiken, die auf unsicheren Booten eingegangen werden“, eine Verstärkung der Seenotrettung „in den kommenden Wochen“ angeordnet. Zunächst sollen zwei Schiffe gechartert werden, „die speziell für diese Aufgabe bestimmt sind“ und „so schnell wie möglich“ bereitstehen sollen. Begründet wird dies mit dem „Einsetzen kälteren Wetters“ und der damit verbundenen „Möglichkeit schwerer Unfälle“ von Migrant_innen, die mit ungeeigneten nautischen Mittel die „meistbefahrene Seeroute der Welt“ passieren.

Nach diesem ersten Schritt sollen weitere Maßnahmen folgen. „In einer zweiten Phase“, erklärte das GSMer weiter, „werden Flugdrohnen in das System integriert, die dazu beitragen sollen, die Situation auf See in Echtzeit besser zu erfassen, insbesondere bei gleichzeitigen Überquerungsversuchen mehrerer Boote“.

Die Ankündigung ist durchaus überraschend. Dies gilt zum einen für das Secrétariat général de la Mer selbst. Die interminierielle Einrichtung, die der Premierministerin untersteht, übt koordinierende, evaluierende und prospektive Aufgaben im Bereich maritimer Politik aus und beschäftigt sich mit einem breiten Themenspektrum von Fragen der nationalen Sicherheit und Verteidigung über europäische Angelegenheiten bis hin zu ökologischer Planung. Außerdem steuert sie die Tätigkeit der Seepräfekturen. Bislang ist in unserem Kontext zwar die regionale Seepräfektur ein wesentlicher Akteur, während das GSMer bislang kaum in Erscheinung trat. Auch die Intervention der Premierministerin zur Verstärkung der Rettungsinfrastrukturen ist in dieser Form neu. Nach der katastrophalen Havarie im Vorjahr hatte die Regierung zwar ebenfalls reagiert, jedoch nicht mit verbesserter Seenotrettung, sondern verstärkter Küstenüberwachung und der Anforderung von Frontex.

Schwer einschätzbar ist, ob und wie sich die geplante Echtzeitüberwachung der See durch den Einsatz von Drohnen in das bestehende Grenzregime einfügen wird. Das britisch-französische Grenzregime zielt vor allem auf das frühzeitige Erkennen geplanter Bootspassagen, die Abschreckung potenzieller Passagiere und die Strafverfolgung von Schleusern, wozu an Land und im Luftraum über der Küstenlinie Überwachungssysteme eingesetzt werden. Die Zusammenführung der Daten mit dem Ziel, ein Lagebild in Echtzeit zu gewinnen, ist ein Kernelement dieser Grenzpolitik. Daher besteht die Gefahr, dass eine Echtzeitüberwachung der See auch für ein Grenzregime in Dienst genommen wird, das die Menschen erst zwingt, die gefahrvolle Bootspassage auf sich zu nehmen.

Gleichwohl ist die angekündigte Verstärkung der Seenotrettung unbedingt zu begrüßen. Ihre Notwendigkeit zeigt sich auch aktuell: Nach einer Schlechtwetterphase passierten am 28. November acht Boote mit 426 Passagier_innen und am 29. November siebzehn Boote mit 884 Passagier_innen den Ärmelkanal. Die Gesamtzahl der Menschen, die in schlecht ausgestatteten und überfüllten Booten nach Großbritannien gelangt sind, stieg damit auf mehr als 43.000 in diesem Jahr gegenüber rund 28.000 im Vorjahr. Nach der Rettung von 112 Schiffbrüchigen in der Nacht vom 27. auf den 28. November 2022 wurde die französische Rettungsgesellschaft SNSM am 29. November bei Calais zu einem Schlauchboot gerufen, das mit mehr als 60 Personen extrem überladen war. Die zivilgesellschaftliche Organisation Utopia 56, die den Rettungseinsatz in Gang gesetzt hatte, berichtet von 15 Notrufen zwischen dem 27. November und 1. Dezember und 852 Menschen, die sie im selben Zeitraum nach einer Notsituation angetroffen habe. Manchmal geschah dies bei Nebel und Temperaturen um den Gefrierpunkt.