Nachdem im Februar deutlich mehr Geflüchtete den Ärmelkanal in kleinen Booten passiert haben als in den Vorjahresmonaten (siehe hier), lag ihre Zahl im Monat März etwas niedriger: War die Überfahrt bis Ende Februar bereits 3.147 Menschen gelungen, waren es Ende März nach vorläufigen Angaben 3.790. Im Gegensatz zum März des vergangenen Jahres, als punktuell über 400 Menschen in derselben Nacht übersetzten, waren es an günstigen Tagen nun höchstens halb so viele. Der Monat war von anhaltend ungünstiger Witterung geprägt, sodass nur an sieben Tagen überhaupt Boote übersetzten. Hieraus einen Effekt der drakonischen Gesetzesinitiative der britischen Regierung gegen die Bootspassagier_innen abzuleiten, wäre vor diesem Hintergrund verfehlt. Zugleich berichten sowohl die Behörden als auch die Hilfsorganisation Utopia 56 von brennenden Booten an der nordfranzösischen Küste.
Folgen wir den regelmäßigen und verlässlichen Meldungen des BBC-Korrespondenten Simon Jones, so erreichten am 6. März 197 Personen (in fünf Booten), am 11. März 51 Personen, am 17. März 209 Personen (fünf Boote), am 18. März 155 Personen (vier Boote), am 19. März 118 Personen (drei Boote), am 26. März 87 Personen (zwei Boote) und am 29. März 23 Menschen (ein Boot) britisches Hoheitsgebiet. Fast alle Überfahren fanden also in einem schmalen Zeitfenster zwischen dem 17. und 19. März statt, in dem relativ günstige Bedingungen für eine Überfahrt bestanden. Die durchschnittliche Zahl der Passagier_innen per Boot lag bei etwa 40. Angesichts der mangelhaften Bauart und unzureichenden Motorisierung der sogenannten long boats, des inzwischen gängigen, teilweise improvisierten Bootstyps, ist die Reise trotz der vermeintlich kurzen Distanz hoch riskant.
In das genannte Zeitfenster fallen mehrere Havarien und Rettungseinsätze im französischen Küstengewässer. Lokale Medien berichten, dass ein erster Alarm am frühen Morgen des 18. März ausgelöst wurde, als ein long boat mit 22 Passagier_innen „auf den Sandbänken östlich des Hafens von Calais zwischen Fort-Vert und dem Leuchtturm phare de Walde“ in Seenot geriet. Während per Hubschrauber und Rettungsschiff nach ihnen gesucht wurde, „konnten die Passagiere des Schlauchboots aus eigener Kraft an Land zurückkehren“. Gleichzeitig sei „eine Gruppe von etwa 50 Migranten, die sich in einem anderen Schlauchboot befanden,“ nach zweistündiger Suche geborgen und in den Hafen von Calais gebracht worden. Ein dritter Rettungseinsatz folgte am Nachmittag desselben Tages ebenfalls vor der Küste von Calais. Gerettet wurden 24 Menschen.
Am folgenden Tag, dem 19. März, nahm ein Patrouillenboot der französischen Marine zunächst 25 Menschen an Bord, danach rettete ein Schiff der Gendarmerie 40 Bootspassagier_innen. Es folgten weitere Rettungseinsätze, sodass die Zahl der in den Hafen von Calais gebrachten Menschen, so die Zeitung La Voix du Nord, auf etwa 100 anstieg. Andere wurden nach gescheiterten Überfahrten im Küstengebiet von Utopia 56 betreut. Die Organisation meldete am selben Tag: „Innerhalb von 36 Stunden hat unser Team mehr als 300 Menschen getroffen, die nach gescheiterten Überquerungsversuchen in Not geraten waren, und vier Anrufe von Booten erhalten, die im Ärmelkanal in Gefahr waren.“
Zu Beginn dieser Phase mit zahlreichen gelungenen, aber auch gescheiterten Überfahrten kam es, wie dieselbe Zeitung berichtet, in den Dünen von Oye-Plage zwischen Calais und Dunkerque zu einem Zwischenfall. Dem auf Behördenangaben gestützten Bericht zufolge führte die Gendarmerie am frühen Morgen des 17. März „eine Operation an der Küste durch, um die illegale Einwanderung zu bekämpfen.“ Nachdem eine Drohne ein in den Dünen verstecktes Boot lokalisiert habe, hätten die Gendarmen das Boot unbrauchbar gemacht. Statt wie sonst wegzugehen, hätte ein Teil der Passagier_innen die Gendarmen umringt und bedrängt, worauf diese Tränengas eingesetzt hätten. Als Reaktion darauf hätten Exilierte das unbrauchbar gemachte Boot in Brand gesetzt. Die Gendarmerie beschuldigte sie in diesem Zusammenhang, mehrere Brände in dem geschützten Gebiet gelegt zu haben. Diese seien jedoch rasch gelöscht worden und Personen seien nicht zu Schaden gekommen.
Die Angaben lassen sich nicht überprüfen. Allerdings ist mehrfach, zuletzt im Februar (siehe hier), über ein gewaltsames Vorgehen der Behörden gegen ablegende Boote berichtet worden. Ende März veröffentlichte Utopia 56 das oben stehende Video, das eine brennendes Schlauchboot auf einem Strand zeigt. Das Video wurde offenbar von Geflüchteten aufgenommen, nach Angaben der Organisation am 26. März, dem Datum also, als ein weiteres kurzes Zeitfenster für Passagen begann. An diesem Tag, so die Organisation, „drängten Polizisten etwa 30 Personen (darunter vier Kinder im Alter von 1, 4, 14 und 16 Jahren), die den Ärmelkanal zu überqueren versuchten, mit Tränengas zurück. Anschließend zündeten die Polizisten das Boot mit einem Feuerzeug an, bevor sie die Menschen am Strand zurückließen.“