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Channel crossings & UK

Einstieg in ein britisches Lagersystem?

(Mit einem Update vom 31. März 2023) Wenige Wochen, nachdem die Londoner Regierung eines der restriktivsten Migrationsgesetze Europas auf den Weg gebracht hat (siehe hier), erwarten britische Medien noch eine weitere Verschärfung: Offenbar ist geplant, Asylsuchende nicht mehr, wie bisler üblich, in Hotels unterzubringen, sondern auf stillgelegten Fähren und auf Militärstützpunkten. Die Verschärfung soll sowohl für Menschen gelten, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien übersetzen, als auch für solche, die bereits ein Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Wie BBC am 25. März 2023 meldete, wird erwartet, dass die Regierung die Unterbringung in stillgelegten Fähren in Kürze bestätigt, „aber ihr genauer Standort wird möglicherweise erst in einigen Wochen bekannt gegeben.“ Ebenso werde mit der Ankündigung gerechnet, dass Geflüchtete an zwei Militärstandorten untergebracht würden, wo die Ersten möglicherweise schon „innerhalb weniger Wochen einziehen werden.“ Ungnannten Quellen zufolge sei jeder Standort für 1.500 bis 2.000 Menschen vorgesehen, und zwar „zunächst für Neuankömmlinge und nicht für Menschen, die derzeit in Hotels untergebracht sind.“

Verschiedene Zeitungen, unter ihnen der Independent, benannten die Militärstandorte RAF Scampton (Lincolnshire) und MDP Wethersfield in Braintree (Essex). Beide Standorte liegen außerhalb der Kanalregion nördlich von London. Dort sei eine „angemessene, aber rudimentäre“ (decent but rudimentary) Form der Unterbringung vorgesehen.

Nach Angaben der BBC werden momentan knapp 400 Hotels als Unterkünfte für insgesamt etwa 51.000 Geflüchtete genutzt. Die Hotels stehen seit Längerem im Fokus einer populistischen Kampagne, die von der Regierung u.a. durch die Behauptung befeuert wird, diese Form der Unterbringung koste pro Tag 5 Millionen Pfund. Am 10. Februar wurde das Suites Hotel in Knowsley bei Liverpool zur Zielscheibe gewaltsamer Ausschreitungen gegen Bewohner_innen und Personal. Die Gewalt ging aus einer von der rechtsextremen Gruppierung Patriotic Alternative organisierten Kundgebung hervor. Bereits am 30. Oktober 2023 war eine Einrichtung im Hafen von Dover, in der Bootspassagier_innen nach ihrer Ankunft gebracht wurden, Ziel eines nach Ansicht der Polizei rechtsterroristisch motivierten Anschlags (siehe hier). Premierminister Sunak und Innenministerin Braverman werden die Unterbringung auf Fähren oder Militäranlagen voraussichtlich als Anfang vom Ende der Hotelunterbringungen vermarkten und somit eine rechte Klientel bedienen.

Zugleich stellt die vorgesehene Massenunterbringung einen weiteren Schritt in der Abschreckungspolitik gegenüber den Channel migrants dar. Vor dem Hintergrund der am 7. März eingebrachten Illegal Migration Bill dürften die Pläne auch mit der Schaffung einer Infrastruktur zur Inhaftierung der Bootspassagier_innen und anderer undokumentiert aus einem EU-Staat einreisenden Menschen zu tun haben. Der Gesetzesentwurf sieht neben dem Ausschluss aus dem Asylsystem und zwingenden Abschiebungen eine solche Inhaftierung vor. Wie auch der Gesetzentwurf, stoßen die Pläne zur Unterbringung auf Fähren und Militäranlagen auf die Kritik zivilgesellschaftlicher Akteure.

So wenig Genaues über die Pläne der Regierung bislang bekannt ist, so liegt die Vermutung nahe, dass wir es mit dem Einstieg in ein britisches Lagersystem zu tun haben. Beide Orte, Fähren und Militäranlagen, sind für einen solchen Zweck prädestiniert.

Update, 31. März 2023:

Der für Einwanderung zuständige Staatssekretär Robert Jenrick erklärte am 30. März 2023 im Unterhaus, dass neben den Standorten Scampton (Lincolnshire) und Wethersfield (Essex) noch ein dritter Standort vorgesehen sei. Den Ort nannte er nicht, allerdings die Grafschaft East Sussex.

Anders als die beiden anderen Standorte, liegt East Sussex am Ärmelkanal, etwas westlich des Seegebiets, in dem die meisten Bootapassagen stattfinden. Die BBC und ihr Reporter Simon Jones vermuten, dass die Küstengemeinde Bexhill dieser dritte Lagerstandort sein wird, und zwar ein Areal namens Northeye. Das Gelände sei früher von der Royal Air Force, als Gefängnis und als Ausbildungszentrum genutzt worden.

In den Standorten Scampton und Wethersfield sollen zunächst jeweils 200 Menschen untergebracht werden, danach soll ihre Kapazität auf 2.000 bzw. 1.700 ausgebaut werden. Die Kapazität aller drei Standorte soll bei 4.900 Personen liegen.

Die Pläne zur Unterbringung von Geflüchteten auf stillgelegten Fähren konkretisierte Jenrick nicht. Möglicherweise wird dies zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, denkbar ist aber auch, dass die Ankündigung vor allem populistischen Zwecken diente. Darüber hinaus berichtete BBC von Hinweisen auf weitere Lagerstandorte. So habe es beispielsweise eine entsprechende Anfrage an die Leitung eines Handelshafens an der Küste von Dorset. Auch diese Region liegt am Ärmelkanal, allerdings weiter westlich gegenüber der Normandie.