Die „Drittstaatenlösung“ im Entwurf des neuen CDU-Parteiprogramms
Im Laufe des Herbstes traten Politiker der CDU mit Statements an die Öffentlichkeit, Asylsuchende nach britischem Vorbild in Vertragsstaaten auszulagern. Zur gleichen Zeit stellte der britische Supreme Court die Rechtswidrigkeit des britischen Ruanda-Deals fest (siehe hier), worauf die Londoner Regierung ein verändertes Agreement mit Kigali aushandelte. (Ein Beitrag hierzu folgt.) Inzwischen hat die Programm- und Grundsatzkommission der CDU eine sogenannte „Drittstaatenlösung“ nach dem Muster des Ruanda-Deals in den Entwurf eines neuen Parteiprogramms aufgenommen. Eine künftige Bundesregierung unter Führung der CDU könnte damit einen Systemwechsel in der Flüchtlingspolitik versuchen, der einem Bruch mit bestehenden Schutzrechten gleichkäme. Wir dokumentieren das migrationspolitische Kapitel des Programmentwurfs.
Das noch unveröffentlichte, aber bereits zirkulierende Papier mit dem Titel In Freiheit Leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen datiert vom 6. Dezember 2026, dem Tag nach dem neuen britischen Ruanda-Deal. Das Dokument spiegelt eine Abkehr der Partei von der liberalen Politik der Ära Merkel hin zu einer ideologischen Verortung im Konservatismus – zugespitzt in der Migrationspolitik.
Das migrationspolitische Kapitel des aktuellen Entwurfs umfasst anderthalb Seiten und steht unter der Headline Humanität und Ordnung. Eingebettet in ein humanitäres Wording, finden sich bekannte rechtskonservative Aussagen wie etwa der angebliche Kontrollverlust über die Migration und die Grenzen. Recht schnell wird deutlich, dass es um nicht weniger als einen „grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts“ gehen soll:
Der in unserem Kontxt entscheidende Absatz beginnt mit der Aussage: „Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren.“ Die Autor_innen greifen damit einen schon lange etablierten Begriff des deutschen Asylrechts auf, definieren ihn jedoch grundlegend um: von einem Transitstaat (dessen nachweisbare Passage sich negativ auswirkt) zu Vertragsstaat irgendwo auf der Welt (in dem Menschen anstelle eines deutschen Asylverfahrens verbracht ausgelagert werden):
„Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen. Die Anforderungen an sichere Drittstaaten sind auf den Kern der Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskommission und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beziehen. Beide Konventionen beinhalten nicht das Recht, sich das Land des Schutzes frei auszusuchen oder gewähren einen Schutzanspruch aufgrund einer wirtschaftlichen Schwäche des Herkunftslandes.“
Als der britische Ruanda-Deal vor anderthalb Jahren publik wurde (siehe hier), verstanden manche deutsche Beobachter_innen ihn falsch, nämlich als würden die nach Ruanda verbrachten Geflüchteten dort ein Asylverfahren nach britischem Recht durchlaufen und nach einem positiven Ausgang wieder nach Großbritannien einreisen können. Genau dies jedoch war nie vorgesehen, vielmehr sollten die Betroffenen ein ruandisches Asylverfahren durchlaufen können, aus dem britischen Aufnahmesystem jedoch kategorisch ausgeschlossen sein. Der Programmentwurf der CDU macht sehr deutlich, dass ein deutscher bzw. europäischer Systemwechsel genau dies erreichen soll.
Welcher Vertragsstaaten (oder welche Gruppe von Vertragsstaaten) den Christdemokrat_innen als Verbringungsort für Geflüchtete vorschwebt, bleibt offen; auch Ruanda wird nicht explizit erwähnt. Allerdings scheint man davon auszugehen, dass die Sache nicht ohne Anfechtungen vor nationalen und europäischen Gerichten auf den Weg gebracht werden dürfte – daher die Ausführungen über die internationalen Schutzkonventionen und die fragwürdige Behauptung, diese stünden einem so gravierenden Einschnitt in die Rechte der Betroffenen nicht entgegen.
Der folgende Absatz setzt das Drittstaaten-Konzet in Relation zum Artikel 16a des Grundgesetzes und zeigt eine europäische Dimension auf: „Wir sprechen uns deshalb dafür aus, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzeptes eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt.“ Auch dies erinnert an die Politik der britischen Konservativen gegenüber den Channel migrants, deren geplante Abschiebung nach Ruanda gern mit dem Verweis auf legale Resettlementprogramme und Einreisewege legitimiert wird, obschon diese für diejenigen, die den Ärmelkanal per Schlauchboot überqueren, in der Regel weder vorgesehen noch zugänglich sind. Auch eine kontinentale Koalition der Willigen dürfte für die in der EU Schutz Suchenden ohne Bedeutung sein, sobald sie an die EU-Außengrenzen gelangt sind.
Die früheren britischen Innenministerinnen Priti Patel und Suella Braverman promoteten den Ruanda-Deal seinerzeit als Kern einer neuen internationalen Ordnung der Migration – zum Entsetzen nicht nur der zivilgesellschaftlichen Akteure, sondern auch des UNHCR. Bislang hat Großbritannien zwar große Summen in den Deal investiert, aber keinen einzigen Menschen nach Ruanda deportiert. Auch ist völlig offen, ob und wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden wird.