Im Seegebiet zwischen Calais und Boulogne-sur-Mer ereignete sich am heutigen 3. September 2024 eine der schwersten Havarien auf dieser Migrationsroute überhaupt. Französische Medien und Behörden berichten von mindestens zwölf Todesopfern, zwei Vermissten und zahlreichen Verletzten. Hier ein erster und vorläufiger Überblick.
Wie viele Menschen heute im Ärmelkanal starben, steht momentan noch nicht fest. Nach Angaben der Lokalzeitung La voix du Nord waren es dreizehn Menschen; in einer Presseerklärung der zuständigen Seepräfektur (Préfecture maritime Manche et mer du Nord, kurz: Premar) ist von zwölf Todesopfern die Rede. Die Behörde kündigt an, abschließende Angaben nach dem Ende der Such- und Rettungsmaßnahmen bekannt zu geben.
Wie aus dieser und einer weiteren Mitteilung der Seepräfektur hervorgeht, wurde am späten Vormittag des 3. September gemeldet, dass ein Boot mit Migrant_innen „vor dem Kap Gris Nez“ in Schwierigkeiten sei. Das Kap befindet sich dort, wo die nordfranzösische Kanalküste, die bei Boulogne in Nord-Süd-Richtung verläuft, nach Osten in Richtung Calais abknickt.
Offenbar leistete zunächst das Schiff Minck, „das zur Überwachung vor Ort war“, Nothilfe für die Schiffbrüchigen. Die regionale Leitstelle CROSS Gris-Nez habe sodann zwei Hubschrauber der französischen Marine bzw. des Zivilschutzes, fünf Patrouillen- bzw. Rettungsschiffe sowie zwei Fischereischiffe für Such- und Rettungseinsätze mobilisiert, hinzu kamen ein weiterer Hubschrauber und ein Flugzeug für Transporte. In Boulogne-sur-Mer wurde ein medizinischzer Posten zur Versorgung der Opfer eingerichtet. Nach Angaben der Seepräfektur dauern die Such- und Rettungsmaßnahmen am Nachmittag noch an.
Die Zeitung La voix du Nord berichtete währenddessen von den Hafenanlagen in und bei Boulogne-sur-Mer, wo sie seit dem späten Vormittag zahlreiche Rettungs- und Polizeikräfte beobachten konnte, darunter etwa 20 Rettungsfahrzeuge. Am frühen Nachmittag seien Bestattungsunternehmen an einem Kai eingetroffen, „wo die Leichen von mindestens sieben Exilierten, mit weißen Laken bedeckt, aufgebahrt wurden.“ Noch für denselben Tag kündigte der zurückgetretene französische Innenminister Gérald Darmanin seinen Besuch bei den gewählten Vertretern der Region und den Rettungskräften an. Die im Küstengebiet tätige NGO Utopia 56 verurteilte den Besuch in einer ersten Reaktion scharf.
Über den Verlauf der gescheiterten Bootspassage, die Umstände der Havarie und die Identität der Opfer liegen bislang keine genaueren Informationen vor. Bekannt ist jedoch, dass auf dem Ärmelkanal am heutigen Tag rauhe nautische Bedingungen herrschten. Bereits am Vortag hatten bei ungünstigen Bedingungen sechs Schlauchboote mit 351 Personen übergesetzt. Insgesamt setzten seit dem 1. Januar 21.403 Personen bzw. 409 Boote über (Stand: 2. September); die durchschnittliche Zahl der Personen auf den durchgängig überfüllten Booten betrug in diesem Zeitraum 52.
Die heutige Havarie ist die zweitschlimmste seit der Etablierung der Kanalroute im Jahr 2018. Lediglich am 24. November 2021 ertranken mehr Menschen. Zugleich beobachten wir seit 2023 eine Häufung von Todesfällen im kontinentaleuropäisch-britischen Grenzraum. Von Januar bis August 2024 ist der Tod von 32 Menschen dokumentiert, davon 23 Todesfälle auf See und bei Ablegemanövern an der Küste oder an Wasserstraßen. Mit der heutigen Havarie steigt die Zahl – sollten sich die vorläufigen Angaben bestätigen – auf 44 Todesfälle an, davon 35 bei Bootspassagen. Das Jahr 2024 entwickelt sich zum bislang tödlichsten Jahr der Kanalroute.