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Channel crossings & UK

Mutter und Tochter sterben auf übervollem Boot

Während einer Bootspassage starben in der Nacht zum 21. Mai 2025 eine Frau und ihre achtjährige Tochter. Erneut war nicht eine Havarie, sondern das Gedränge an Bord der Grund ihres Todes: Das Boot war mit etwa 80 Menschen völlig überladen. Das Unglück geschah in einer Nacht, in der so viele Menschen den Kanal in unsicheren Booten durchquerten wie noch nie in diesem Jahr. Gleichzeitig steigt die Zahl der Todesfälle innerhalb von nur zehn Tagen auf fünf. Eine weitere Person konnte gerade noch gerettet werden.

Die französische Seepräfektur (Premar) teilt mit, in der Nacht zum 21. Mai sei die regionale Leitstelle CROSS Gris-Nez über „die Abfahrt eines Bootes mit fast 80 Migranten auf der Höhe von Gravelines“ informiert worden. Der Ort liegt etwa in der Mitte zwischen Dunkerque und Calais und ist als Ablegestelle der Schlauchboote bekannt. Wie nach solchen Meldungen üblich, wurde ein Schiff zur Beobachtung des Schlauchbootes entstandt. „Während der Überwachung wird dem CROSS gemeldet, dass zwei Personen […] bewusstlos sind und Hilfe benötigen.“

Diese Information stammte offenbar von der NGO Utopia 56. Wie diese berichtet, erhielt ihr Team gegen 7:30 Uhr einen ersten Notruf, etwas später dann die Positionsdaten des Bootes, das sich vor Calais befand. Ein Passagier teilte mit: „Das Boot ist kaputt. Zwei Menschen sind tot, eine Frau und ein Baby. Bitte, wir brauchen Hilfe, bitte. Das Boot ist jetzt kaputt, es ist zu viel Wasser. Verstehen Sie das?“ Das Team verständigte sofort die Rettungskräfte.

Bei dem folgenden Rettungseinsatz seien, so Premar, zwei leblose Personen sowie zehn weitere Menschen, die um Hilfe gebeten hatten, an Bord des Marineschiffs Rhône geholt worden. Ein per Hubschauber eingeflogenes medizinisches Team habe „nur noch den Tod der beiden Personen feststellen“ können. Während die übrigen rund 70 Passagier_innen die Fahrt fortsetzten, wurden die Geborgenen in Calais an Land gebracht.

Bei den Toten handelt es sich um eine 40jährige Frau und ihre 8jährige Tochter. Sie kamen, so die Zeitung La voix du Nord, „aus der Türkei und waren vermutlich Kurden“. Die Mutter und ihr Kind seien „bei einer Panik auf einem Schlauchboot, das in Gravelines gestartet war und langsam leck schlug, am frühen Morgen zerquetscht und niedergetreten“ worden.

Dass Exilierte an Bord eines Schlauchboots erdrückt werden, ersticken oder im instabilen Bodenbereich ertrinken, ist auf der Kanalroute zu einer der häufigsten Todesursachen geworden; auch Boote mit rund 80 Passagier_innen sind inzwischen keine Seltenheit. Die Zeitung zitiert einen Mitarbeiter der Seenotrettung: „Zu Beginn des Phänomens waren es weniger als zehn Migranten, die mit kleinen Booten aufbrachen. Heute sind sie zu 80 auf ‚schwimmender Scheiße‘, in den Tod geschickt. Billige Schlauchboote, die für maximal zehn Personen ausgelegt sind. […] Und es wird noch mehr Tote geben, immer und immer wieder“. Angesichts von fünf Todesfällen in nur zehn Tagen kommentiert L’Auberge des migrants aus Calais: „Die Häufigkeit solcher Dramen nimmt zu, dennoch dürfen sie niemals banalisiert werden.“

In Gravelines, wo das Boot in See gestochen war, hätte es in derselben Nacht beinahe ein weiteres Todesopfer gegeben. Wie La voix du Nord ebenfalls meldet, wurde dort eine junge Frau bewußtlos am Stand gefunden. Sie sei dem Ertrinken nahe gewesen und habe „gerade noch wiederbelebt“ werden können.

„In der Nacht waren mehrere Boote auf See. Wir haben neun Mal das CROSS […] angerufen, weil wir Kontakt mit Menschen in Not hatten“, beschreibt Utopia 56 die Situation in der Nacht zum 21. Mai. Auch bei der Leitstelle selbst seien zahlreiche Notrufe eingegangen. Die britischen Behörden registrierten für dieselbe Nacht die Ankunft von 13 Booten, an Bord befanden sich 825 Menschen. Es war die am stärkesten frequentierte Nacht seit Jahresbeginn.