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Calais

Mahnmal aus Schuhen

Anklage an die britisch-französische Grenzpolitik: Gedenken an die Grenztoten am Strand von Calais, 20. September 2025. (Foto: Calais La Sociale)

Am Strand von Calais entstand am 20. September 2025 ein temporäres Mahnmal: 518 Paar Schuhe, im Sand angeordnet, erinnerten an die mindestens 518 Menschen, die seit 1999 im Zusammenhang mit der Migration auf der Kanalroute ihr Leben verloren haben.

518 Paar Schuhe als Symbol für 518 Tote. (Foto: Calais La Sociale)

Ort des Protests war der Stadtstrand von Calais, und zwar jener Abschnitt der touristisch überfrachteten Promanade, wo regelmäßig eine überdimensionale Drachenfigur entlangfährt. Organisiert war das Gedenken von zwei tragenden Akteuren der lokalen Geflüchtetensolidarität: Auberge des migrants und Utopia 56. Die gebrauchten Schuhe stammten aus Sammlungen von Hilfsgütern, allerdings wurden solche verwendet, die sich nicht zur Weitergabe an Geflüchtete eigneten.

Ein inmitten der Schuhe platziertes Foto zeigte die Regierungschefs von Großbritannien und Frankreich, Keir Starmer und Emanuel Macron, denen auf einem Transparent vorgeworfen wurde: „Vos mensonges tuent / Your lies kill“.

Die Kritik bezog sich auf das im Sommer vereinbarte „One in, One out“-Abkommen, das erstmals seit dem Brexit die Abschiebungen einer kleinen Zahl von Bootsmigrant_innen nach Frankreich regelt, während Großbritannien im Gegenzug die legale Einreise etwa derselben Zahl anderer Antragsteller_innen aus Frankreich zusagt. „Es ist ein großes politisch-mediales Theater. Selbst sie, die Briten, haben komplett verloren, dieser PR-Coup hat sie lächerlich gemacht. Das Ziel war es, die englische Öffentlichkeit zu beruhigen, die in Bezug auf die Einwanderung sehr angespannt ist, aber das ist Theater“, sage eine der Organisator_innen der Zeitung La voix du Nord und verwies darauf, das bis dato nur einzelne Personen tatsächlich abgeschoben wurden bzw. Rechtsmittel dagegen einlegen konnten (siehe hier, hier und hier).

Das temporäre Mahnmal aus Schuhen reiht sich in eine lokale Erinnerungskultur von unten ein: Seit Jahren finden nach jedem Todesfall von Geflüchteten kleine Gedenkkundgebungen vor dem Denkmal für die Kriegsgefallenen der Französischen Republik am Calaiser Parc Richelieu statt. Und die zur Vertreibung von Camps zu Tausenden herbeigeschafften Felsklötze entlang der innerstädtischen Quais wurden, mit den Namen von Toten beklebt, zeitweise in einen Erinnerungsort umgewidmet.

Mit den 518 Paar Schuhen im Sand sollte die dennoch empfundene Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit durchbrochen werden: „Die Passagen töten, und sie werden weiterhin töten, solange die Grenze militarisiert bleibt“, schreibt Calais La Sociale, eine zivilgesellschaftliche Plattform, die die lokale Solidarität mit Geflüchteten mit anderen sozialen und politischen Themen verbindet. Sie wirft der Politik vor, aus opportunistischen Motiven „das Schreckgespenst des ‚parasitären Migranten‘ heraufzubeschwören“ und „die fremdenfeindliche Logik innerhalb der gespaltenen lohnabhängigen Klasse zu schüren“ – mit „immer verheerenderen Folgen für die Betroffenen“.