Am 13. April 2022 wurde das „Memorandum of Understanding“ zwischen Ruanda und Großbritannien unterschrieben, welches es Großbritannien erlaubt, Migrant_innen die dort um Asyl ersuchen, ohne weitere Prüfung nach Ruanda zu bringen. Wie die britische Innenminister Pritil Patel am 31. Mai 2022 ankündigte, soll der erste Abschiebeflug mit Menschen, die „illegal“ in das Vereinigte Königreich eingereist sind, am 14. Juni 2022 erfolgen.
Bisher gibt es noch keine genauen Angaben vom Innenministerium dazu, wie viele Personen einen Abschiebebescheid bekommen haben, aber die Organisation Care4Calais geht von circa 130 Menschen aus, die über eine bevorstehende Überführung nach Ruanda informiert worden sind. Care4Calais ist mit etwa 100 von ihnen im Kontakt. Wie aus einem Bericht der Organisation hervorgeht, weisen 20 Bescheide auf eine unmittelbar bevorstehende Abschiebung hin, darunter 13 Bescheide die ausdrücklich den 14. Juni erwähnen (siehe hier).
Die Menschen, die bereits Bescheide erhalten haben, befinden sich zurzeit alle in Abschiebehaft. Alle, mit denen Care4Calais sprechen konnte, sind traumatisiert und geschockt von der bevorstehenden Abschiebung. Auch wenn das britische Innenministerium ausschließlich von alleinstehenden Männern spricht, die nach Ruanda geschickt werden sollen, wird aus den geführten Gesprächen deutlich, dass diese Männer zum jetzigen Zeitpunkt nicht von ihren Familien begleitet werden, aber durchaus zurückgelassene Angehörige haben, denen sie eine bessere Zukunft ermöglichen wollen. Auch sind unter den betroffen Personen zwei Minderjährige, die das Innenministerium jedoch als volljährig einschätzt, was Fragen bezüglich der Kriterien und Bestimmungen zur Auswahl aufwirft.
Nach Schätzungen von Care4Calais haben über 70% der Personen mit Bescheiden in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht Folter oder Menschenhandel erlebt. Diese zurückliegenden Traumata intensivieren sich nun durch die Inhaftierung und die Ängste bezüglich der Abschiebung nach Ruanda. Ein Mann in Abschiebehaft, der zuvor in Libyen extrem gefoltert wurde, berichtete Care4Calais: „jedes Mal, wenn auch nur die Tür seines Zimmers zuschlägt, muss er an die Folterungen in Libyen zurückdenken. Das gibt ihm das Gefühl, wahnsinnig zu werden.“ (siehe hier). Ein anderer Mann sagte:
“They can send my dead body to Rwanda, but I would rather die than go there”. (dt.: Sie können meine Leiche nach Ruanda schicken, aber ich würde lieber sterben als dorthin zu gehen)
https://care4calais.org/news/rwanda-deportees-are-increasing-desperate/
Diese Aussagen illustrieren die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Migrant_innen, die in der Annahme flohen, dass Großbritannien ihnen ein gerechteres Leben bietet, und sich nun in Abschiebehaft in diesem Land befinden. Als Reaktion auf die bevorstehende Überführung nach Ruanda traten 17 Migranten in Abschiebehaft in einen fünftägigen Hungerstreik (siehe hier).
Die britische Innenministerin Priti Patel stellte klar, dass die Ankündigungen ein „weiterer entscheidender Schritt zur Verwirklichung dieser Partnerschaft“ seien. In dem Wissen, dass nun „versucht wird, den Prozess zu vereiteln und die Abschiebungen zu verzögern“, erklärte sie, sich „nicht entmutigen [zu] lassen und sich weiterhin voll und ganz dafür ein[zu]setzen, die Erwartungen der britischen Öffentlichkeit zu erfüllen“ (siehe hier). Die britische Öffentlichkeit steht diesem Abkommen jedoch teilweise kritisch gegenüber und so wurden erste Klagen eingereicht. Am 8. Juni 2022 erklärte Care4Calais, dass die Organisation gemeinsam mit der Gewerkschaft Public and Commercial Services Union, der Gruppe Detention Action und vier Migrant_innen, die am 14. Juni abgeschoben werden sollen, ein gerichtliches Überprüfungsverfahren beim High Court, dem dritthöchsten Gericht, angestrengt hat. Der Eilantrag wurde im Hinblick auf die fehlende gerichtliche Prüfung auf Rechtmäßigkeit der baldigen Abschiebungen gestellt. Die Argumente umfassen unter anderem die Frage, ob das Innenministerium die rechtliche Befugnis besitzt, Abschiebungen durchzuführen, ob die Einschätzung Ruandas als sicherer Drittstatt durch das Inneministerium plausibel ist, ob die Vorkehrungen zur Malaria-Prävention ausreichen sind und ob das Vorgehen gegen das Menschenrechtsgesetzt verstößt.