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Deportationen nach Ruanda? Folgen des High-Court-Urteils

Direkte Folgen des Urteils

Obwohl der britische High-Court den Migrationsdeal der Regierung zur Deportation von Asylsuchenden nach Ruanda für grundsätzlich zulässig erklärt hat, sind in nächster Zeit keine Abschiebeflüge nach Ruanda zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger_innen das Urteil in den beiden nächsthöheren Instanzen, dem Court of Appeal und schließlich dem Supreme Court anfechten, und das Urteil erst nach diesem Berufungsverfahren rechtskräftig wird. Bis dahin (genauer gesagt bis drei Wochen nach Rechtskraft des endgültigen britischen Urteils) bleiben die Abschiebeflüge nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Juni 2022 ausgesetzt.

Selbst wenn danach der Ruanda-Deal umgesetzt wird, haben die ursprünglich für den ersten Abschiebeflug vorgesehenen Menschen eine gute rechtliche Chance, sich gegen Deportation nach Ruanda erfolgreich zu wehren: Während der High Court keine grundsätzlichen rechtlichen Hürden gegen den Ruanda-Plan erkennen mochte, hat er die Entscheidung in den Einzelfällen als unangemessen eingestuft und eine erneute Entscheidung angeordnet.

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Dimensionen der Post-Brexit-Grenzpolitik

Calais, August 2020. (Foto: T. Müller)

Die britische Politik gegenüber den small boats im Ärmelkanal durchläuft eine Veränderung. Diese vollzieht sich auf mehreren Handlungsebenen und weist zwei scheinbar entgegengesetzte Enwicklungslinien auf: Während einerseits neue multilaterale Formate unter Einbeziehung Deutschlands entstehen, tritt andererseits ein Primat des Nationalen hervor, das die Vielzahl einzelner Praktiken und Vorhaben ideologisch überwölbt. Die Post-Brexit-Grenzpolitik scheint sich in ihrer Radikalität den Grenzpolitiken von Staaten wie Ungarn, Italien oder Polen anzunähern. Dabei inszenieren sich britische Konservative mit eigenständigen Ideen als Avantgarde einer neuen internationalen Flüchtlingspolitik. Ob dies gelingen kann, ist alles andere als ausgemacht. In einer losen Folge von Beiträgen werden wir an dieser Stelle einige Dimensionen dieser Post-Brexit-Grenzpolitik ausleuchten. Wir beginnen mit einen Überblick.

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High Court erlaubt Deportationen nach Ruanda

Der britische High Court hat in einer Entscheidung vom 19. Dezember 2022 den vorläufig gestoppten Plan der britischen Regierung für rechtmäßig erklärt, Menschen, die in Großbritannien Asyl beantragen, nach Ruanda zu verbringen, wo sie ein Asylverfahren nach ruandischem Recht durchlaufen können.

In seiner Presseerklärung erklärt das Gericht, die britische Regierung habe Beweise dafür vorgelegt, dass sie mit der ruandischen Regierung Vereinbarungen getroffen habe mit dem Ziel, dass über den Asylanspruch der nach Raunda verbrachten Personen zutreffend entschieden werde. Unter diesen Bedingungen sei die Verbringung von Asylsuchenden nach Ruanda vereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen gesetzlichen Verpflichtungen der Regierung, einschließlich des Human Rights Act von 1998.

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Rede einer Besessenen

Vorstellung der neuen britischen Innenministerin, 6. September 2022. (Quelle: Britische Regierung / Twitter)

Seit dem 6. September 2022 amtiert die frühere Generalstaatsanwältin Suella Braverman als Innenministerin der Regierung Truss. Bereits während ihrer Kandidatur für den Vorsitz der Konservativen Partei hatte sie angekündigt, sie werde die Bootspassagen im Ärmelkanal stärker bekämpfen, das Abkommen mit Ruanda umsetzen und rechtliche Hindernisse ausräumen. In ihrer Grundsatzrede auf dem Parteitag der Tories in Birmingham am 4. Oktober 2022 machte sie nun erneut deutlich, dass die Bekämpfung der Kanalroute eines ihrer zentralen politischen Ziele ist. Wie genau, bleibt noch unklar. Aber während ihrer Amtszeit könnten Angriffe auf rechtstaatliche Normen zum Mittel der Wahl werden.

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Konservative Utopie und kontrafaktische Politik: Zum Rücktritt Priti Patels

Meldung des BBC-Journalisten Simon Jones zur Ankunft von Channel crossers in Großbritannien, 5. September 2022 (Quelle: Simon Jones / Twitter)

In wenigen Tagen, vielleicht auch nur in wenigen Stunden, werden so viele Menschen den Ärmelkanal seit Jahresbeginn in kleinen Booten passiert haben wie im gesamten Jahr 2021. Waren es damals rund 28.500 Personen, so sind es in diesem Jahr bereits knapp 27.500. Das Erreichen der jeweiligen Vorjahreszahl und die darin sichtbare Dymanik der Migration auf der Kanalroute sind im britischen Mediendiskurs seit einigen Jahren ein symbolbelades Ereignis. In diesem Jahr fällt es mit der Entscheidung über die Übernahme des Parteivoritzes der Konservativen Partei und damit der künftigen Regierungsgeschäfte durch Liz Truss zusammen – und mit dem Rücktritt von Innenministerin Priti Patel, die auf diese Weise vermutlich ihrer Entlassung durch Truss zuvorkam.

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Britischer Populismus, albanische Migration und ein geleakter Militärreport

Die britische Boulevardpresse erlaubt momentan aufschlussreiche Einblicke, und zwar sowohl in Interna des britischen Grenzregimes, als auch in das konservative Campaigning zur Rettung des britisch-ruandischen Migrationsdeals. Nebenher macht ein Blick in die Boulevardpresse eine aktuelle Tendenz der Migration auf der Kanalroute sichtbar, nämlich eine verstärkte Präsenz albanischer Migrant_innen. Letzteres wird von konservativen Hardlinern skandalisiert, belegen die Albaner_innen doch scheinbar, dass die Channel crossings keine Fluchtmigration seien und der vehemente Protest linker, liberaler und kirchlicher Organisationen gegen den britisch-ruandischen Migrationsdeal auf Fakes basiere. Grundlage dieser Skandalisierung ist ein geleakter Report des britischen Militärs, das seit April 2022 für die Bekämpfung der kanalüberfreifenden Bootsmigration zuständig ist.

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Analyse des britischen Ruanda-Deals

Wir freuen uns, auf eine vertiefende Analyse des britisch-ruandischen Migrations-Deals hinweisen zu können: Der Beitrag unter dem Titel One-way-Ticket nach Afrika entstand als gemeinsames Projekt der Journalistin Sabine Schlindewein mit der Redaktion unseres Blogs und wurde auf dem Portal Migration Control veröffentlicht. Er beleuchtet den Versuch der britischen Regierung, Geflüchtete unabhängig von ihrer Nationalität und Herkunft nach Ruanda zu verbringen, aus einer doppelten Perspektive: der migrationspolitischen Entwicklung Großbritanniens und Ruandas. Aus dem Inhalt:

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Elektronisches Tagging von Geflüchteten

Einen Tag, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verbringung von Geflüchteten nach Ruanda in letzter Minute stoppte, gab die britische Regierung am 15. Juni 2022 eine neue Maßnahme bekannt: Den Start eines Modellversuchs zur elektronischen Markierung und Überwachung von Migrant_innen. Die Maßnahmen flankiert den britisch-ruandischen Asylpakt, an dem die Regierungt Johnson nach wie vor festhält. Sie richtet sich gegen Migrant_innen, die aus der EU in Schlauchbooten und versteckt auf Lastwagen nach Großbritannien eingereist sind. Zu den ersten Betroffenen gehören voraussichtlich diejenigen, deren Deportation nach Ruanda das Straßburger Gericht vorläufig verhindert hat.

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Deportationen nach Ruanda vorläufig gestoppt

Für den gestrigen 14. Juni 2022 hatte die britische Regierung den ersten Flug angesetzt, mit dem illegalisierte Geflüchtete im Rahmen des britisch-ruandischen Migrationsdeals deportiert werden sollten. Wäre es dazu gekommen, so wäre dies ein Novum in der europäischen Migrationspolitik gewesen. Doch obschon internationale Medien bereits gemeldet hatten, dass der Abschieflug plangemäß durchgeführt werde, fand er nicht statt. Entscheidend dafür war eine Eilentscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Klagen mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter Cafe4Calais, waren also erfolgreich, wenngleich dies nicht bedeutet, dass die britische Regierung nicht weitere Anläufe versuchen wird, um Channel migrants allein wegen ihrer Einreiseform aus dem britischen Asylsystem auszuschließen und unabhängig von ihrer Nationalität nach Ruanda zu deportieren. Ob sich der Ruanda-Deal also in die Reihe gescheiterter Verschärfungen der britischen Grenzpolitik einreihen wird, muss also vorerst offen bleiben. Wir dokumentieren im Folgenden eine Erklärung, die Care4Calais heute über den Stopp der Deportationen veröffentlicht hat:

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„We are going to kill ourselves“

Videobotschaft eines syrischen Geflüchteten, veröffentlicht von der Initiative Led By Donkeys am 10. Juni 2022. (Quelle: Led By Donkeys / YouTube)

In der oben stehenden Botschaft berichtet ein Syrer über die Gewalt, die er im Krieg erlebte, auch und vor allem durch Russland. Er spricht vom Verlust enger Angehöriger, von Gefangenschaft, der Überquerung zweier Meere und der Empathie, die er für Geflüchtete aus der Ukraine empfindet. Sodann beschreibt der Mann seine Erschütterung, als er sich nach der Ankunft in Großbritannien in Haft wiederfand und erfuhr, dass er nach Ruanda deportiert werden solle. Er spricht von Angst und Schlaflosigkeit im Brook House Immigration Removal Centre am Gatwick Airport – und einem Entschluss: „If they try to deport us to Rwanda, we all are going to kill ourselves.“ Seine Botschaft, die aus Furcht vor Repressalien von einem Schauspieler nachgesprochen ist, wurde vier Tage vor dem geplanten ersten Abschiebeflug – dieser soll am 14. Juni stattfinden – von der Gruppe Led By Donkeys veröffentlicht, die gern mit satirischen Mitteln arbeitet. Aber dies hat nichts mit Satire zu tun.