Während in der deutschen Migrationsdebatte Forderungen nach Asylpartnerschaften mit Drittländern laut werden, steht das Urteil zum umstritten Plans der britischen Regierung noch aus – wird jedoch für die kommende Woche erwartet. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Großbritanniens über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung von Asylbewerber*innen nach Ruanda könnte dabei auch wegweisend für ähnliche Vorhaben in der deutschen Migrationspolitik sein. Wir nehmen es deshalb als Anlass, die wichtigsten Informationen und Entwicklungen zum britischen Ruanda-Deal hier zusammenfassen.
Die bisherigen Entwicklungen im Ruanda-Deal
Die Vereinbarung von Offshore-Migrationsverfahren, also die Abschiebung von Asylbewerber*innen in einen Drittstaat, wurden seit 2020 immer wieder in der britischen Migrationsdebatte diskutiert. Ziel des Vorhabens sei es laut der britischen Regierung, Menschen davon abzuhalten, auf „illegalen, gefährlichen oder unnötigen Wegen“ in das Vereinigte Königreich zu kommen, etwa mit Schlauchbooten, die den Ärmelkanal überqueren. Mit der Abschiebung nach Ruanda würden sie – anders als zuweilen berichtet – jede Aussicht auf ein Anerkennungsverfahren nach britischem Recht verlieren und stattdessen etwa ein Asylverfahren nach ruandischem Recht stellen können. Geflüchtete aus dem Sudan, Afghanistan, dem Iran oder Kurdistan fänden sich dann in einem weit entfernten Land wieder, wohin sie niemals wollten und gegen ihren Willen gebracht wurden.
Hier ein Zeitstrahl der bisherigen Ereignisse:
- April 2022 – die britische Regierung verkündet ihren Plan zur Abschiebung von in Großbritannien ankommenden Migrant*innen nach Ruanda (hier ein ausführlicher Bericht),
- 14. Juni 2022 – der erste geplante Abschiebeflug mit sieben Migrant*innen wird in letzter Minuten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt (wir berichteten hier),
- Dezember 2022 – der High Court urteilt, dass der Plan rechtmäßig sei, aber die Entscheidung in Einzelfällen unangemessen sei (mehr hier),
- Juni 2023 – das Berufungsgericht (engl. Court of Appeal) urteilt, dass der Ruanda-Plan der Regierung teilweise rechtswidrig sei (mehr hier),
- Oktober 2023 – Berufung der britischen Regierung vor dem Obersten Gerichtshof (engl. Supreme Court).
Bevorstehendes Urteil
Der Supreme Court ist nun in der Verantwortung zu entscheiden, wer bei der Bewertung des ruandischen Asylsystems Recht hat. Die Anwälte der Regierung erklärten, dass das Berufungsgericht im Juni zu Unrecht zu dem Schluss gekommen sei, dass Ruanda betroffene Menschen aus Großbritannien in ihre Heimatländer zurückschicken könne, wo ihnen Verfolgung oder eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, und Ruanda somit kein „sicherer Drittstaat“ sei.
Ein Vertreter des Innenministeriums stritt diese Bedenken nun erneut ab und erklärte vor dem Obersten Gericht, dass es „allen Grund zu der Annahme“ gebe, dass Ruanda an einer funktionierenden Regelung interessiert sei und das Land ein großes Interesse daran habe, Asylsuchende gut zu behandeln. Auch werde ein Regierungsbeamter dauerhaft in Kigali stationiert sein, um das Abkommen zum Funktionieren zu bringen und um auf Bedenken hinzuweisen. Außerdem werde es eine weitere unabhängige Überwachung dessen geben, was mit den einzelnen Migrant*innen geschehe, sagte er.
Aufgrund dieser Vorkehrungen und der detaillierten schriftlichen Zusagen, die dem Vereinigten Königreich im Rahmen des 140 Mio. £-Programms gemacht wurden, gebe es keinen rechtlichen Grund, den Plan zu behindern, argumentierte die Regierung. Der Plan stelle also sicher, dass sowohl die britische Regierung als auch Ruanda bei der Behandlung der Migranten die rechtlichen Garantien der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einhalten würden, so der Vertreter.
Verschieden Menschenrechtsorganisationen und der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), äußerten hingegen immer wieder Kritik an dem Abkommen. Auch im Prozess vor dem Supreme Court wurden Zweifel an der Vereinbarkeit des Abkommens mit den Menschenrechtsstandards deutlich. So erklärten die Anwälte des UNHCR, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Ruanda seine Behandlung von Asylbewerber*innen verbessert habe, obwohl es der britischen Regierung eine faire Behandlung zugesichert habe.
Im Falle einer Zustimmung für das Urteil des Berufungsgericht, bräuchte die britische Regierung nur 12 Tage Vorlauf, um eine Abschiebung nach Ruanda zu organisieren – in der Praxis dürfte es aber wohl dennoch länger dauern, da Einzelpersonen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen könnten.
Doch im Rahmen der Debatte um den britischen Illegal Migration Act, dem neuen, restriktiven Migrationsgesetz, wurde der Verbleib Großbritanniens im Europarat und damit im Geltungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention immer wieder von Politiker*innen der „Tories“ wie Suella Bravermann oder Robert Jenrick in Frage gestellt (siehe hier und hier). Sollte das Urteil gegen die Regierung ausfallen, wird erwartet, dass der englische Premierminister Rishi Sunak unter starken Druck vom konservativen Flügel Seite Partei gerät und verspricht, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten.
Tendenzen einer sich radikalisierenden Migrationspolitik – europaweit
Noch vor der finalen Entscheidung des Obersten Gerichtshof kann der Prozess als Symbol einer sich nach rechts radikalisierenden Debatte in der gesamt-europäischen Migrationspolitik gedeutet werden. Die Tendenz, dass immer mehr Länder des Globalen Nordens, also privilegierte Industrienationen, die Verwaltung der Migration zumeist in Länder des Globalen Südens externalisieren, wird mittlerweile auch von gemäßigten und liberalen Stimmen als plausible und menschlich deklariert, denn man würde so die gefährlichen Überquerungen der Seewege verhindern wollen – so das Argument. Das 16-monatige Ringen über die Rechtsmäßigkeit des britischen Ruanda-Deals sollte jedoch Zeugnis genug sein, dass eben die Frage der Menschlichkeit der wunde Punkt solcher Abkommen mit Drittstaaten ist.