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Neue Straftatbestände gegen Bootspassagen geplant

Die britische Regierung konkretisiert ihre Pläne für verschärfte gesetzliche Reglungen gegen Bootspassagen. Vorgesehen ist u.a. die Einführung eines Straftatbestandes „Gefährdung von Leben auf See (Endangering lives at sea)“, der die schon gängige Kriminalisierung der Steuerleute auf andere Bootspassagier_innen erweitern könnte. Deutschland könnte die migrationspolitische Verschärfung flankieren, indem es eine Reglungslücke im deutschen Strafrecht schließt und die undokumentierte Einreise nach Großbritannien kriminalisiert.

Erklärtes Ziel der Regierung Starmer ist es, die Kanalroute mit einer Doppelstrategie zu bekämpfen: Ausweitung der strafrechtlicher Befugnisse gegen Schleusernetzwerke nach dem Vorbild der Terrorismusbekämpfung einerseits, Einbeziehung europäischer und internationaler Partner andererseits.

Zwischen der britischen Regierung, der europäischen Polizeibehörde Europol und den Partnerstaaten etwa im Rahmen der Calais Group (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande) hat sich ein Konsens heraugebildet, Schleusungen als eine Form schwerer organisierter Kriminalität zu begreifen. Dabei ist den Akteuren sehr bewusst, dass maßgebliche Personen solcher Netzwerke nicht oder nur schwer greifbar sind. Besser greifbar sind hingegen untergeordnetes Personal, das vor Ort präsent sein muss, aber auch die Akteure entlang der Lieferketten der Boote und nicht zuletzt die Passagier_innen selbst.

Vor diesem Hintergrund liegt die Überlegung nahe, die Strafverfolgung an der Antiterror-Gesetzgebung zu orientieren, eben weil diese den Behörden – legitimiert durch die Schwere des zu erwartenden Verbrechens – sehr weitreichende Möglichkeiten an die Hand gibt. In einer Demokratie kann dies jedoch nur die absolute Ausnahme sein, weil es die Grenze des rechtstaatlich Hinnehmbaren berührt, wenn nicht gar überschreitet. Die Übertragung dieser Logik auf andere Deliktfelder ist daher hoch problematisch. Genau diesen Kurs aber verfolgt die britische Regierung seit dem Machtwechsel im vergangenen Sommer.

Ein in diesem Jahr vorgesehenes Gesetzespaket soll diese Strategie umsetzen. Wie BBC am 30. Januar unter Berufung auf Innenministerin Yvette Cooper berichtet, ist unter anderem die Einführung eines neuen Straftatbestandes „Gefährdung von Leben auf See“ vorgesehen. Das Delikt soll mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Das britische Innenministerium verweist – in der Sache durchaus richtig – auf gewaltvolle und traumatisierende Situationen beim Ablegen der Boote. Auch die Aussage, dass „einige der Passagiere die Arbeit von Banden erledigten, indem sie widerstrebende Reisende zwangen, an Bord zu gehen“, muss nicht aus der Luft gegriffen sein. Genau hier soll der geplante Straftatbestand „Gefährdung von Leben auf See“ ansetzen. Aus Sicht der BBC könnte dies bedeuten, „dass jeder strafrechtlich verfolgt wird, der auf einem kleinen und unsicheren Boot im Vereinigten Königreich ankommt und andere Passagiere eingeschüchtert oder gezwungen hat, an der Fahrt teilzunehmen, oder der sich geweigert hat, außerhalb britischer Gewässer gerettet zu werden.“

Beide Beispiele lassen befürchten, dass der Straftatbestand so vage definiert sein wird, dass er einen weiten Auslegungsspielraum eröffnet. Bei der schon jetzt gängigen Strafverfolgung derjenigen, die ein Boot gesteuert haben (sollen), ist dies seit längerem zu beobachten (siehe hier).

Eine mögliche Kriminalisierung der Weigerung, sich im französischen Hoheitsgewässer retten zu lassen (und auf das französische Festland zurückgebracht zu werden), verdeutlicht diese Problematik. Denn mit dieser Weigerung ist die französische Rettungsleitstelle regelmäßig konfrontiert, wenn ein Boot auf dem Weg zur Seegrenze zwar Hilfe benötigt, aber noch manövrierfähig ist. In aller Regel akzeptieren die Rettungskräfte entsprechende Erklärungen der Geflüchteten und vermeiden es auf diese Weise, Menschen gegen ihren Willen aus einem instabilen Schlauchboot zu evakuieren und dabei deren Leben zu gefährden. Dieses Weigerung zu kriminalisieren, würde vermutlich eine große Zahl von Bootspassagier_innen treffen; außerdem könnte sie die Kommunikation mit Rettungskräften erschweren und damit zu größerer Unsicherheit führen.

Andere Regelungen des geplanten Gesetzespaket zielen laut BBC darauf ab, Verdächtige so früh wie möglich, und zwar schon bei der Vorbereitung einer möglichen Tat, aus dem Verkehr zu ziehen. „Eine dieser auf ‚Vorbereitung‘ bezogenen Befugnisse wird der Straftatbestand der Beteiligung an der Handhabung oder dem Verkauf von Bootsteilen sein, wenn der Verdacht besteht, dass der Handel dem Menschenschmuggel dient. Auch Personen, die für Überfahrten werben, Buchungen entgegennehmen und potenzielle Passagiere mit Booten in Nordfrankreich zusammenbringen, könnten sich strafbar machen“, umreisst BBC diese weit gefaßte Stoßrichtung.

All dies entspricht dem, was die Regierung Starmer seit einem halben Jahr schrittweise umsetzt. Überraschend ist vor diesem Hintergrund auch nicht, dass sie von Partnerländern wie Deutschland eigene gesetzgeberische Änderungen erwartet. So ist es nach deutschem Recht nicht strafbar, Menschen aus einem nichtdeutschen EU-Staat in einen Drittstaat außerhalb der EU (wie Großbritannien) zu schleusen; auch der Import und Verkauf der am Ärmelkanal verwendeten Schlauchboote ist in Deutschland nicht per se illegal. Beides wird in Großbritannien seit einigen Monaten verstärkt wahrgenommen. Wie BBC unter Berufung auf britische Regierungskreise nun berichtet, hat sich die Bundesregierung kürzlich bereit erklärt, „einen neuen Straftatbestand der illegalen Einwanderung in das Vereinigte Königreich einzuführen, damit die Ermittler gegen in dem Land operierende Banden vorgehen können.“ Der Sender verweist in diesem Zusammenhang auch auf Bulgarien, dessen Behörden auf der Basis von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften mit der Beschlagnahme von Schlauchbooten begonnen hätten, die aus der Türkei eingeführt wurden.

Im Dezember 2024 hatten die Innenministerinnen Cooper und Faeser einen ersten gemeinsamen Aktionsplan zur Bekämpfung von Schleusungen unterzeichet, kurz darauf wertete Großbritannien Deutschland zu seinem Schlüsselpartner innerhalb der Calais Group auf (siehe hier und hier). Eines der Hauptziele dieser Staatengruppe für 2025 ist die „Sicherstellung eines wirksamen und robusten Rechtsrahmens, der die Lieferkette für small boats kriminalisiert“ und eine „wirksame Unterbrechung ihrer Lieferketten“ etwa durch die Beschlahnahmung von Bootsausrüstung ermöglicht. Es wäre nur folgerichtig, wenn die deutsche Regierung nun ihre Bereitschaft zu einer Gesetzesänderung unterstrichen hat.

Ob all dies dazu führen wird, dass weniger Leben auf See gefährdet werden, darf bezweifelt werden. Die bisherige Geschichte der Kanalroute spricht jedenfalls nicht dafür.