Am 13. April 2020 richteten eritreische Geflüchtete aus dem Jungle von Calais einen offenen Brief an den Präfekten des Pas-de-Calais und an die Medien, in dem sie ihre inhumane Behandlung durch die Polizeieinheit Compagnies républicaines de sécurité (CRS) anprangern. Dabei schildern sie acht Vorfälle aus der Zeit zwischen dem 26. und 31. März, bei denen Angehörige der eritreischen Community meist einzeln oder in Kleingruppen attackiert und misshandelt worden seien.
Die beschuldigte CRS ist eine in Kompanien gegliederte französische Polizeieinheit, die auf Massensituationen spezialisiert und für ein oftmals gewalttätiges Vorgehen (beispielsweise auch gegen Jugendliche in den Banlieus der französischen Großstädte und gegen die Gelbwesten-Proteste in Paris) bekannt ist. Die von den Eritreer_innen geschilderten Mißhandlungen werden der Kompanie 8 der CRS zurerechnet. In den vergangenen Jahren wurden vergleichbare Vorfälle von verschiedenen NGOs und Initiativen wiederholt beobachtet und dokumentiert, darunter der Einsatz von CS-Gas, von Schlagstöcken mit schweren Verletzungsfolgen und das Zerstören von Mobiltelefonen (siehe hier, hier, hier und hier). Zuletzt berichtete die Calaiser Initiative Human Rights Obervers Berichte über anhaltende Räumungen (siehe hier).
Das von den Autor_innen des Briefes geschilderte Polizeiverhalten fügt sich sehr genau in diesen Kontext ein und erscheint uns in hohem Maße glaubhaft. Ihr Brief lässt darauf schließen, dass die seit langem etablierte Form extralegaler staatlicher Gewaltausübung in Calais während der Corona-Pandemie andauert. Dabei wird auch deutlich, dass sich die geschilderte Gewalt vielfach außerhalb des Jungle und damit außerhalb des Blickfeldes der dort tätigen Freiwilligen und Menschenrechtsbeobachter_innen abspielt, sodass sie von diesen nur unvollständig dokumentiert werden kann.
Wir entnehmen die englische Übersetzung des Schreiben der Website der Calais Migrant Solidarity. Die Gruppe legte seit 2008 mehrere eigene Dokumentationen über die Polizeigewalt in Calais vor (siehe hier).
Brief eritreischer Geflüchteter an den Präfekten und an die Medien
To the Préfet of Pas-de-Calais
To the media
To all people concerned
Calais, Monday 13th April 2020
Open Letter from the Eritrean community of Calais Jungle
Before we get to start writing our complaint about what is happening to us with the CRS (Compagnies Républicaines de Sécurité), we would like to say something about ourselves. We are migrants from Eritrea. The reason we are here is because we want to live in a safe place, and have a future. We are not criminals, we are just innocent migrants trying to go to the UK and pursue our dreams.
Our complaint is about the CRS company and their aggressive, impulsive actions on us.
They don’t think that we are humans. They called us names like monkey, bitch, etc….
And a couple weeks ago, they started threatening our lives by keeping on beating us every time they get a chance, like when they found two or three people walking around the foodstreet (note: near the food distribution place) or, in our tents when we are sleeping.
They keep driving fast towards us on the street, like they want to run us over, and they started taking people with them to some places outside of Calais and keeping on beating them until they faint out.
They hide their personal code (note: RIO number) when they are doing something wrong to us. And whenever they see we are recording while they are doing so, they break our mobiles and our bodies.
– 26th of March 2020, 3.30pm: one person was tear-gassed and beaten by the CRS after being denied entry to Carrefour Supermarket.
– 27th of March 2020, 2pm: two people walking near Stade de L’Epopée to get food at the distribution were beaten by CRS (company 8). As a result one of them has a broken arm.
– 27th of March 2020: two people walking near the BMX park to get to the food distribution were beaten and tear-gassed by the CRS (company 8).
– 28th of March 2020, 9am: one person walking along Rue Mollien was thrown to the ground and beaten by CRS (company 8).
– 28th of March 2020, 3pm: two people walking near the BMX park to get to the food distribution were beaten and tear-gassed by the CRS (company 8).
– 28th of March 2020, 3.30pm: one person walking alone along Quai Lucien L’heureux, going back to his camp, was beaten and hit in the back of the head with a telescopic baton by the CRS (company 8).
– 28th of March 2020: four people walking near the BMX park were
beaten with a telescopic baton by the CRS (company 8).
– 31th
of March 2020, 12h50: two people pulled out of a truck were beaten by
CRS (company 8) on Rue des Sablières. One person was complaining
about strong pain in the arm, one person was left nearly unconscious
and had to be brought to the hospital by an ambulance.
The Eritrean Refugee community of Calais
Update, 25. April
Wie der Fernsehsender France3 meldete, hat der zuständige Staatsanwalt die von der zivilgesellschaftlichen Organisation Utopia 56 unterstützte Beschwerde von fünf eritreischen Flüchtlingen entgegengenommen und die Inspection générale de la Police nationale (IGPN) mit polizeiinternen Ermittlungen beauftragt.
Die Pressesprecherin von Utopia 56 Léa Njeim erklärte bei dieser Gelegenheit, dass solche schriftlichen Beschwerden von Geflüchteten aus verschiedenen Gründen selten seien. Aufgrund ihrer Lebenssituation sei es für die Betroffenen schwierig, Aussagen schriftlich niederzulegen; hinzu kämen die Angst vor Repression, fehlendes Vertrauen in das französische Rechtssystem, die Alltäglichkeit von Übergriffen etwa im Rahmen von Räumungen sowie der knappe und während der Corona-Krise noch schwieriger gewordene Zugang zu elektrischem Strom, auch zum Aufladen der Mobiltelefone. Njeim berichtete dem Sender beispielsweise vom Fall einer Person, die „ein Bild ihres Gesichtes schickte, das infolge einer allergischen Reaktion auf CS-Gas verbrannt war. Leider haben wir den Kontakt zu ihr verloren, weil ihr Akku leer war.“
Ob die nun offiziell eingeleiteten Ermittlungen juristische Konsequenzen für die beteiligten CRS-Polizisten haben werden, bleibt abzuwarten. Erfahrungsgemäß ist nicht mit Sanktionen zu rechnen.