Kategorien
Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Auf dem Weg zur tausendsten Räumung

Räumung in Grande-Synthe, 8. Dezember 2020. (Foto: Human Rights Observers)

Erwartungsgemäß hat sich die Menschenrechtslage für die Exilierten in Calais und Grande-Synthe nicht gebessert – weder im Kontext der zweiten Welle der Corona-Pandemie, noch angesichts der innenpolitischen Auseinandersetzungen über Polizeigewalt nach der gewaltsamen Räumung eines migrantischen Protestcamps auf der Place de la République in Paris. Unter erschwerten Bedingungen hat die Initiative Human Rights Observers nun aktuelle Berichte über den Monat November vorgelegt.

Auszug aus dem Monatsbericht der Human Rights Observers über Calais im November 2020.

Wie der Monatsbericht für Calais dokumentiert, finden dort weiterhin permanent Räumungen statt, meist im 48-Stunden-Turnus jeweils an mehreren migrantischen Camps. Räumungen dieses Typs zielen im Gegensatz zu größeren Operationen nicht auf die Auflösung des betroffenen Camps, sondern sollen dessen (physische wie rechtliche) Verfestigung verhindern. Insgesamt registrierten die Menschenrechtsbeobachter_innen 73 Räumungen meist dieser Art, bei denen u.a. 336 Zelte und Planen, 71 Schlafsäcke, 40 Gepäckstücke, 15 Mobiltelefone und andere Gegenstände beschlagnahmt bzw. zerstört wurden. Darin eingerechnet sind zwei Operationen am 13. und 27. November (siehe hier und hier), in deren Verlauf ein Teil der betroffenen Menschen gegen ihren Willen in Aufnahmezentren außerhalb von Calais gebracht wurden.

Verglichen mit den Vormonaten blieben die Zahlen der Räumungen und der Wegnahme von lebenswichtigen Gütern hoch. Offenbar führte weder die Debatte um Polizeigewalt, noch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu einer Mäßigung. Allerdings wurde die Arbeit der Human Rights Observers im November 16 mal unter Verweis auf Corona-Bestimmungen behindert. „Diese gezielte Schikane machte unsere Beobachtungen in diesem Monat streckenweise schwer durchführbar,“ merkt die Initiative an.

Auszug aus dem Monatsbericht der Human Rights Observers über Grande-Synthe im November 2020.

Ein ähnliches Bild zeigt der Monatsbericht über Grande-Synthe. Wie in den Vormonaten, fanden Räumungen aufgrund einer divergierenden Polizeitaktik (siehe hier) seltener statt als in Calais, doch kam es auch hier zur Wegnahme bzw. Zerstörung von Zelten in ähnlichem Umfang. „Die Human Rights Observers wurden Zeug_innen, wie das Räumungsteam in vier Fällen Zelte und Planen mit Messern zerstörte. Am 20. November hörten die HRO Berichte, dass Kleider aus den Taschen genommen worden und in den Dreck getreten worden seien.“ Außerdem wurden im November verstärkt Wald- und Gebüschflächen gerodet, die den Geflüchteten bis dahin Schutz geboten hatten.

Auch im Dezember setzt sich diese Politik an beiden Orten fort. Bis zum gestrigen 8. Dezember zählten die Human Rights Observers 904 Räumungen in Calais und 80 Räumungen in Grande-Synthe seit Jahresbeginn, in der Summe also 984. Am Ende des Jahres werden es tausend sein. Nahezu über jede dieser Operationen veröffentlichten die Human Rights Observers in den Sozialen Medien kurze Notizen und einige Fotos, aus deren Perspektive nicht selten auch die Behinderung dieser dokumentarischen Arbeit spricht. Sollten das Filme und Veröffentlichen solcher Routinen der Gewalt durch das geplante Sicherheitsgesetz der französischen Regierung kriminalisiert werden, blieben kaum mehr als solche Zahlen. In einem unserer folgenden Beiträge wird es daher vor allem um die Bilder gehen.