Die Stadtverwaltung von Calais ließ am 17. Dezember 2020 einen Platz am Fort Nieulay sperren, der von lokalen Hilfsorganisationen für die Verteilung von Nahrung sowie für medizinische und juristische Hilfen genutzt wurde. Zu diesem Zweck griff die Stadt auf eine brachiale Methode zurück: Sie errichtete eine physische Sperre aus schweren, teils mehrfach übereinander gehäuften Felsbrocken. Gegenüber dem Portal InfoMigrants sprach Juliette Delaplace von Secours Catholique, der französischen Caritas, von einem regelrechten „Kampf um Plätze“ in Calais.
Eine solcher „Kampf um Plätze“ verbindet verschiedene Taktiken, die jeweils, vor allem aber in ihrem Zusammenwirken, auf den Entzug räumlicher Ressourcen, psychische Zermürbung, die ständige Umgruppierung der migrantischen Lebensorte und eine kontinuierliche Mangelversorgung ihrer Bewohner_innen zielen.
Dies sind zum einen die alltäglichen Räumungen, über die wir an dieser Stelle fortlaufend berichten (siehe etwa hier). Wie uns die Initiative Human Rights Observers mitteilt, haben sich diese Räumungen seit Mitte November schleichend verändert: Seien sie bis dahin oft einer Art Zeitplan gefolgt, der eine ungefähre Einschützung zuließ, welches Camp wann betroffen sein würde, so geschähen sie nun „verstreut und schwer voraussehbar“. Sie sind also mit stärkerer Willkür behaftet.
Das Camp auf dem Gelände des Fort Nieulay, einer historischen Festungsanlage an der Grenze zur Nachbargemeinde Coquelles und in Reichweite der Lastwagenzufahrt zum Kanaltunnel, war Mitte November außerdem von einer groß angelegten Räumungsoperation betroffen, in denen Verlauf etwa 100 Zelte beschlagnahmt bzw. zerstört wurden (siehe hier). In den Wochen danach wurde das Gelände gerodet, um die Neuansiedlung von Zelten zu erschweren. Nach Einschätzung der Human Rights Observers war dies wahrscheinlich einer der Gründe dafür, das mehr Migrant_innen in die Innenstadt auswichen und dort etwa unter Brücken leben. Gleichwohl etablierten die zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Anlaufstelle für die im Bereich des Fort Nieulay verbliebenen Migrant_innen. Genau diese wurde nun durch die Felsbrocken versperrt.
Als Begründung nannte die Kommune den Schutz der historischen Bauten vor Beschädigungen. Die zivilgesellschaftlichen Akteure betrachten dies als vorgeschoben, denn bereits in den vergangenen Jahren wurden Verteilungsstellen für Nahrung und soziale Hilfen auf gleiche Weise verspert. In einem spektakulären Fall hatte Bürgermeisterin Natacha Bouchart im Februar 2017 sogar die Zufahrt zum einem Zentrum der Secours Catholique mit einem Müllcontainer blockieren lassen, um die Anlieferung von Duschen für die Exilierten zu verhindern (vg. Le Monde, 9. Februar 2017).
Der „Kampf um Plätze“ zeigt sich außerdem im Verbot nichtstaatlicher Nahrungsverteilungen in der Calaiser Innenstadt und in anderen Teilen der Stadt. Das am 11. September 2020 von der Präfektur befristet verhängte Verbot wird regelmäßig verlängert (siehe hier, hier und hier), aktuell bis Januar 2021. Das Fort Nieulay gehörte zu den Teilen der Stadt, in denen Nahrungsverteilungen durch unabhängige Organisationen noch zugelassen waren. Die Feldklötze machen sie in ihrer bisherigen Form nun unmöglich, während das Verbot für die in die Innenstadt ausgewichenen Menschen voraussichtlich auch 2021 fortdauern werden wird.
„Wir werden sehen, wie wir uns organisieren werden, aber wir werden Lösungen finden, wie immer“, zitiert InfoMigrants Siloé Medriane von Utopia56, eine der von der Blockade des Fort Nieulay betroffenen Gruppen.