Kategorien
Calais

Über 1.700 Räumungen in diesem Jahr?

Prognose von Human Rights Observers zur Entwicklung der Räumungen in Calais bis zum Jahresende 2022. (Quelle: Human Rights Observers)

Bereits jetzt haben in Calais und Umgebung im laufenden Jahr mehr Räumungen informeller Lebensorte stattgefunden als je zuvor (siehe hier und hier). Bis zum Jahresende könnte ihre Zahl auf über 1.700 ansteigen; sie würde dann um 42 % höher liegen als im Vorjahr. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Prognose von Human Rights Observers (HRO).

Das momentan aktuellste Beispiel einer Rämungsserie in der Innenstadt und am Rand von Calais, 26. September 2022. (Quelle: Human Rights Observers / Twitter)

Die Schätzung beruht auf der kontinuierlichen Beobachtung der in Calais alle ein bis zwei Tagen durchgeführten Räumungen. Allein im August dokumentierte die Menschenrechtsgruppe 146 Räumungen, von denen 13 Camps betroffen waren. Dabei wurden mindestens elf Exilierte festgenommen. Außerdem zählte die Gruppe die Wegnahme von 212 Zelzen bzw. Schutzplanen, neun Schlafsäcken, neun Decken, zwei Fahrrädern und 19 Taschen, in denen sich persönliche Dinge befanden. Im Juli und Juni waren 126 bzw. 154 Räumungen, 16 bzw. 13 Festnahmen sowie die Wegnahme von 212 bzw. 179 Zelten/Planen, jeweils 48 Schlafsäcken/Decken und 25 bzw. 10 Taschen beobachtet worden. Seit einiger Zeit spricht die Gruppe nicht mehr davon, dass diese Gegenstände „beschlagnahmt“ würden, sondern von Diebstahl.

Diese Beobachtungen belegen eine stark intensivierte Räumungspraxis während des gesamten Sommers, während gleichzeitig der Zugang zu elementaren Ressourcen wie Trinkwasser erschwert und zivilgesellschaftliche Hilfen durch Verbote der Präfektur behindert wurden (siehe hier).

Wie bereits in der Vergangenheit, stellte die Gruppe bei allen beobachteten Räumungen eine „Überbewaffnung“ der Polizei- und Gendarmeriekräfte fest. Sehr oft wurden „Gummigeschosse, Tränengas, Tonfas, Schilde und Helme“ mitgeführt, was einschüchternd sei und „in keinem Verhältnis“ zu den Einsätzen stehe. Hinzu kamen einschüchternde Praktiken bei Festnahmen. Mehrfach „missbrauchten Angehörige der Sicherheitskräfte ihre Befugnisse, indem sie die Gesichter der dort lebenden Personen mit ihren persönlichen Handys filmten.“

Auch die HRO-Teams waren regelmäßig von aggressivem Verhalten betroffen. „Am 3. August zum Beispiel gab der Einsatzleiter an, dass unsere Identitäten sowie der Name der Vereinigung über den Einsatzbericht an die Justiz- und Präfekturbehörden weitergeleitet werden. Am 14. August schreit ein CRS-Angehöriger und droht, die HRO auf die Wache zu bringen. Am 17. August fordert der Kommandant ein HRO-Mitglied mehrmals auf, ihre ausländische Staatsangehörigkeit zu bestätigen, während sie den Personalausweis dieser Person in der Hand hält. Am 25. August beschuldigt uns ein CRS, ‚Migranten aufzuhetzen‘ und zu ‚nichts nütze‘ zu sein.“