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Channel crossings & UK

Die Legalität der Bootspassagen

Zum Scheitern der Schnell-Abschiebungen nach Albanien

Wenn konservative Politiker_innen gegen die Bootspassagen im Ärmelkanal argumentieren, suggerieren sie gern, diese seien illegal. Rechtlich ist diese Behauptung unzutreffend. Vor einigen Tagen hat auch die britische Regierung eingeräumt, dass Bootspassagen von Asylbewerber_innen legal sind. Hintergrund dieses Eingeständnisses ist ein Versuch des britischen Innenministeriums, die Abschiebung albanischer Bootspassagier_innen zu beschleunigen, nachdem ihr Anteil an den Channel migrants in diesem Jahr zugenommen hat (siehe hier). Dieser Versuch ist nun weitgehend gescheitert.

Albanische Staatsbürger_innen hatten in der Vergangenheit nur einen Bruchteil der Menschen ausgemacht, die den Ärmelkanal in kleinen Booten überquerten. Laut BBC vermutete das britische Innenministerium im August 2022, dass aktuell „50-60 % der Ankünfte in kleinen Booten aus Albanern bestehen könnten. Die […] vorgelegten Zahlen zeigen 1.727 albanische Ankünfte im Mai und Juni sowie geschätzt insgesamt etwa 5.000 in diesem Jahr. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den 898 Albanern, die zwischen 2018 und 2021 den Ärmelkanal überquerten.“ Aus denselben Daten des Ministeriums geht hervor, dass 53 % der albanischen Antragsteller_innen „der Flüchtlingsstatus zuerkannt“ wurde.

Gleichwohl unterstellte das britische Innenministerium den albanischen Exilierten pauschal, illegal einzureisen und falsche Asylanträge zu stellen. Außerdem verwies es auf falsche Versprechungen professioneller Schleuser_innen. Tatsächlich werben diese auf Social Media momentan massiv für ihre Dienste, was jedoch nichts darüber aussagt, aus welchen realen Gründen albanische Bootspassagier_innen ihre Entscheidung zur Migration getroffen haben.

Im August vereinbarte die damalige britische Innenministerin Priti Patel mit ihrem albanischen Amtskollegen Bledi Çuçi Maßnahmen zur Abschiebung albanischer Bootspassagier_innen im Schnellverfahren. Die zugehörige Presseerklärung des britischen Ministeriums vom 25. August 2022 hat den Titel UK and Albania pledge rapid removal of those entering the UK illegally und bestreitet die Legalität solcher Einreisen: „Diejenigen, die aus Albanien – einem sicheren und wohlhabenden Land – kommen, reisen durch mehrere Länder, um ins Vereinigte Königreich zu gelangen. Viele stellen dann bei ihrer Ankunft falsche Asylanträge.“ Das Ministerium kündigte an: „Bei Personen, die über diese Route einreisen, werden die Anträge sofort bearbeitet, wobei diejenigen, die kein Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben, so schnell wie möglich abgeschoben werden.“

Die Erklärung enthält wenig mehr als vage Absichtsbekundungen zur britisch-albanischen Zusammenarbeit in dieser Sache. Wenig konkret heißt es etwa, Albanien habe Großbritannien „hochrangige Strafverfolgungsbeamte zur Verfügung gestellt, um die britischen Behörden mit wichtigen Informationen zu versorgen und die Bearbeitung zu unterstützen“. Außerdem sollen potenzielle albanische Migrant_innen durch gezielte Informationspolitk abgeschreckt und entmutigt werden. In diesem Zusammenhang verweist die Erklärung auf eine albanischsprachige „Kampagne, die sich gegen die von Schleuserbanden in den sozialen Medien verbreiteten Lügen“ richte. Die Kampagne solle „die Leute über die neuen britischen Vorschriften informieren, die es illegal Eingereisten schwerer machen, im Vereinigten Königreich zu bleiben und zu arbeiten.“ Die Darstellung der Bootspassagen als illegal ist ein zentrales Element dieser Social-Media-Aktion.

Die in Calais tätige britische NGO Care4Calais ging, vertreten durch die Anwaltskanzlei Duncan Lewis Solicitors, gegen die geplanten Abschiebungen im Schnellverfahren vor. „Wir konnten diesen Plan auf keinen Fall akzeptieren, denn er hätte zur Folge gehabt, dass traumatisierte Männer, Frauen und Kinder inhaftiert und fast sofort zurückgeschickt worden wären,“ schreibt die Organisation. Sie klagte auf Offenlegung der Pläne zur Schnell-Abschiebung der Albaner_innen und konnte einen wichtigen Erfolg erringen: „Wir haben nun ein Schreiben der Regierung erhalten, in dem es heißt, dass alle Albaner_innen, die Asyl beantragen, NICHT in der von Patel angekündigten Weise im Schnellverfahren behandelt werden. Da praktisch alle ankommenden albanischen Geflüchteten Asyl beantragen werden, wird die angestrebte Politik damit bedeutungslos.“

Auf Twitter veröffentlichte Care4Calais weitere Details aus dem Schreiben der Regierung. Demnach würden albanische Bootspassagier_innen das britische Asylsystem „auf die übliche Art und Weise“ durchlaufen können. Unter Berufung auf die britische Rechtsprechung erklärte die Regierung weiter, dass „Migranten, die den Ärmelkanal in kleinen Booten überqueren und entweder gerettet oder von den Behörden an bestimmte Orte an Land gebracht werden, nicht mehr als illegale Einwanderer, sondern als ankommende Passagiere gelten.“ (Im Wortlaut: [that] migrants who cross the Channel in small boats who are either rescued or directed to land at designated locations by the authorities are no longer deemed illegal entrants but arriving passengers.)

Diese Feststellung ist weitreichend, denn sie betrifft die Gesamtheit der Bootspassagiere_innen: Die Bootspassage des Ärmelkanals ist für Asylbewerber_innen legal. Die Auseinandersetzung um die Albaner_innen macht deutlich, dass dies auch dann gilt, wenn die betroffenen Menschen aus einem von den Behörden als sicher angesehenen Staat kommen.

Die Kehrtwende der britischen Regierung bei den geplanten Schnell-Abschiebungen nach Albanien ist ein weiterer Erfolg der zivilgesellschaftlichen Interventionen gegen die radikal-konservative Migrationspolitik. Durch ähnliche Klagen konnten bereits Pushbacks im Ärmelkanal verhindert und die geplanten Deportationen von Bootspassagier_innen nach Ruanda vorerst gestoppt werden. Dies bewirkt keine Trendwende der britischen Migrationspolitik, zeigt ihr aber einmal mehr rechtliche Grenzen auf.