Wie in den vergangenen Jahren, wird die in Frankreich geltende Winterpause für Zwangsräumugen erneut missachtet. Diese gilt landesweit vom 1. November bis zum 31. März und soll verhindern, dass Menschen während der kalten Jahreszeit ihre Wohnung verlieren. Vor einem Jahr hatten Aktivist_innen in der Calaiser Kirche Saint-Pierre mehr als fünf Wochen lang einen Hungerstreik durchgeführt, um u. a. die Einhaltung dieser Regelung durchzusetzen (siehe hier). Ihr Ziel hatten sie trotz landesweiter Aufmerksamkeit nicht erreicht, und insofern verwundert es nicht, dass die Behörden ihre Räumungsroutine zu Beginn des Winters 2022/23 stillschweigend fortführen.
Ein Video von Human Rights Observers zeigt verschiedene Räumungen am 3. November 2022 in der Innenstadt und am Rand von Calais. Die Räumungen bei kalten und feuchtem Wetter betrafen unmittelbar 74 Personen, die an ihren informellen Lebensorten anwesend waren. Mindestens zwölf Zelte und sieben Planen wurden beschlagnaht und das Dokumentationsteam der Gruppe auf Abstand gehalten. Es handelte sich um eine der in Calais üblichen Routineräumungen im Abstand von36 bzw. 48 Stunden.
Während ihres Hungerstreiks vom 11. Oktober bis zum 17. November 2021 hatten Anaïs Vogel, Ludovic Holbein und Pater Philippe Demeestère neben dem Aussetzen der Räumungen auch ein Ende der Beschlagnahmungen und einen echten Dialog zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Behörden über die Modalitäten der Hilfe für die Exilierten gefordert. Die Behörden sagten zwar Detailverbesserungen zu, von denen am Ende aber nur eine einzige – nämlich die Erneuerung einer Anlaufstelle für die Rückgabe eines Teils der beschlagnahmten Sachen – tatsächlich umgesetzt wurde. Die Räumungen hingegen haben während des gesamten Winters 2021/22 angedauert und im Sommer 2022 noch einmal stark zugenommen (siehe hier). Weiterhin werden Zelte, Decken, Schlafsäcke und persönliche Sachen in großem Umgang beschlagnahmt. Und der geforderte Dialog fand nicht statt.