Bei einer Havarie im Ärmelkanal sind in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember vier Personen ums Leben gekommen. Nach Berichten der BBC entdeckten Fischer kurz nach 3 Uhr das sinkende Schlauchboot. 31 Menschen konnten von der Crew gerettet werden.
Videos britischer Online-Medien zeigen ein vollbesetztes Schlauchboot, in das offenbar Wasser einläuft. Die Passagiere drängen sich zusammen, manche sitzen auf dem Rand, einer von ihnen trägt unter der Schimmweste nur ein T- Shirt. Andere treiben noch im Wasser und werden von einem hinzugekommenen life boat gerettet. Auch ein Hubschrauber ist zu sehen, der Gerettete an Land bringt.
Auf dem Schlauchboot sollen etwa 50 Passagiere gewesen sein – gängige Praxis bei den von Schmugglern organisierten Überfahrten. In der Regel sind die eingesetzten Schlauchboote für zehn Passagiere zugelassen.
Informationen zur Identität der Opfer gibt es bislang nicht, auch über den Hergang der Katastrophe ist noch so gut wie nichts bekannt. Der Guardian berichtet am Tag danach lediglich, zwei Personen seien am frühen Morgen verstorben, nachdem Versuche, sie auf britischem Boden wiederzubeleben, gescheitert seien. Eine dritte starb demnach in einem Krankenhaus in Ashford, eine vierte wurde in einem Leichensack in die RNLI-Station in Dover gebracht. In das besagte Krankenhaus in Ashford sei zudem noch ein weiterer Passagier eingeliefert worden, dessen Zustand sich erwartungsgemäß aber verbessern solle. Die vier Todesopfer wurden am Mittwoch vormittag von der britischen Regierung bestätigt.
Laut einem Regierungssprecher wurden die Behörden um 3:05 Uhr lokaler Zeit informiert, dass ein Boot vor Dungeness, einer Landspitze 30 Meilen (knapp 50 Kilometer) südwestlich von Dover gelegen, in Seenot sei. Basierend auf den Einsatzorten von Rettungsbooten- und Hubschrauber liegt der Unglücksort offenbar ziemlich in der Mitte des Kanals, in Höhe der britisch-französischen Seegrenze. An der Küste um Dungeness kommen seit Jahren viele Schlauchboote an, die den Kanal auf der gängigsten Route überqueren. Die Kanalbreite in Höhe von Dungeness beträgt rund 100 Kilometer.
Die französische NGO Utopia56, die ein Notruftelefon betreibt, erhielt kurz zuvor einen Anruf von einem Boot aus, das im Kanal in Schwierigkeiten war. Laut Information des Guardian bat der Anrufer um Hilfe mit den Worten: „Please help me bro, please, please, please.“ Weiter habe der Mann gesagt, im Boot, in das Wasser eindringe, befänden sich Kinder und eine Familie. Laut Sky News handelt es sich um eine Whatsapp-Sprachnachricht von 22 Sekunden Länge, die am Abend veröffentlicht wird. Darauf ist im Hintergrund auch ein weinendes Kind zu hören.
Um 2:57 Uhr alarmierte Utopia 56 laut einem eigenen Tweet die französischen und britischen Behörden. Später veröffentlichte die Organisation das folgende Statement: „Heute Morgen sind mindestens vier Menschen im Ärmelkanal ertrunken. Wieder einmal kam Hilfe zu spät. Die französische und die britische Regierung müssen zur Rechenschaft gezogen und sichere Passagen müssen jetzt geöffnet werden!“
Der Guardian zitiert auch den Kapitän des rettenden Fischerboots. Demnach sei die Crew zwei Stunden vor Ort gewesen, um die besagten 31 Menschen aus dem kalten Wasser zu holen. Dabei habe man das Schlauchboot mit einem Seil am Fischerboot befestigt. Die Überlebenden kämen unter anderem aus Irak, Afghanistan, Indien und Senegal und hätten für die Überfahrt jeweils 5.000 Pfund bezahlt. Der folgende Search & Rescue-Einsatz unter Beteiligung der Marine beider Länder sowie mehrerer Fahrzeuge der Royal National Lifeboat Institution (RNLI) habe weitere zwölf Personen gerettet. Die Suche nach möglichen weiteren Überlebenden ging noch stundenlang weiter.
Nach derzeitigem Stand und übereinstimmenden Informationen britische Medien wurden 43 Personen bisher gerettet worden. Channel Rescue, deren Freiwillige an der Küste von Kent nach möglichen Seenotfällen Ausschau halten, teilten am Abend mit, nach ihrer Beurteilung seien alle Überlebenden sicher an Land gebracht.
Die Nachttemperatur lag laut BBC bei einem Grad an Land. Ein Sky News– Bericht geht von minus 4 Grad Lufttemperatur aus. In der Grafschaft Kent habe Dienstag nacht eine Eiswarnung gegolten. Wie schon in den lezten Wochen deutlich wurde, setzt sich auch in diesem Jahr der Trend fort, dass die Bootsüberfahrten mit Einbruch von Herbst und Winter nicht, oder zumindets nicht im früheren Maß, zurückgehen. Alleine am letzten Wochenende haben 460 Personen auf small boats den Kanal überquert. Im gesamten Jahr sind es beinahe 45.000. Im Jahr 2021 waren es 28.526 und im Jahr 2020 8.404.
Je später im Herbst oder Winter ein solcher Versuch stattfindet, desto lebensgefährlicher wird er. Die Wassertemperatur vor der britischen Küste liegt derzeit bei elf Grad und wird in den Wintermonaten noch um einige Grad abnehmen. Selbst geübte Schwimmer ohne Kälte-Erfahrung haben bei solchen Temperaturen erst einmal Mühe ihre Atmung zu kontrollieren. Ähnlich war es auch im November 2021, als in einer Nacht mindestens 27 Migrant*innen starben. Damals wie heute zog sich eine hohe Anzahl an Bootsüberfahrten durch den ganzen Herbst, und in den Tagen und Wochen vor beiden Katastrophen gab es entsprechend viele Seenotrettungen. Die an der französischen Kanalküste erscheinende Lokalzeitung La Voix du Nord berichtete etwa letzten Freitag von 134 geretteten Personen, in der Nacht von Samstag auf Sonntag waren es noch einmal 133.
In einem gemeinsamen Statement erklärten die Innenminister*innen aus London und Paris, Suella Braverman und Gérald Darmanin „allen, die von diesem tragischen Ereignis betroffen sind“, ihr Mitgefühl. Dieser Vorfall sei eine deutliche Erinnerung an die dringende Notwendigkeit das Geschäftsmodell der Schmuggler zu zerstören. Braverman sagte weiter: „Dies sind die Tage, die wir fürchten.“
Premierminister Rishi Sunak sprach von einem „tragischen Verlust menschlichen Lebens“. Einen Tag zuvor erst hatte er eine Verschärfung der Migrationsbekämpfung angekündigt, darunter eine neue, 700 Personen starke Einheit, die speziell für die Bootspassagen zuständig sein soll. Wer das Vereinigte Königreich illegal betrete, solle nicht in der Lage sein zu bleiben. Auch nannte Sunak Versuche einer koordinierten Antwort auf Menschenschmuggler bisher ein „totales Versagen“.