In der Nähe des Jungle von Loon-Plage wurde in der Nacht zum 4. Februar 2024 ein Mensch erschossen. Französische Medien berichten übereinstimmend, dass der Mann am Rand der Küstenautobahn A 16 auf dem Gemeindegebiet von Grande-Synthe entdeckt worden sei. Er sei durch eine Schusswunde im Brustbereich schwer verletzt gewesen, habe aber noch gelebt. Kurz darauf sei er auf dem Transport ins Krankenhaus, nach anderen Berichten im Krankenhaus, gestorben. Über seine Identität und die Hintergründe der Tat ist bislang nichts bekannt.
Wie u.a. die Regionalzeitung La voix du Nord und das Online-Medium InfoMigrants melden, wurde noch eine zweite Person verletzt: ein irakischer Staatsangehöriger im Alter von 33 oder 34 Jahren. Er habe eine Schussverletzung an der Hand erlitten, befinde sich aber nicht in Lebensgefahr.
Beide Männer lebten offenbar im Jungle von Loon-Plage, der sich in der Nähe der Autobahn A 16 im Grenzbereich der Gemeinden Grande-Synthe und Loon-Plage erstreckt und als wichtigster Ausgangspunkt für die Bootspassagen nach Großbritannien gilt.
Der Mord reiht sich in eine Reihe ähnlicher Gewalttaten ein, die sich in den vergangenen Jahren im Bereich dieses Camps bzw. seiner Vorläufer ereigneten (siehe u.a. hier, hier, hier, hier, hier und hier). Sie werden allgemein als Konflikte zwischen oder mit Schleusern aufgefasst. Ähnliche Vermutungen finden sich auch im aktuellen Fall. So merkt der Senders France Info an: „Nach ersten Informationen vor Ort und von [Hilfs-]Verbänden werden zwei Spuren bevorzugt. Es könnte sich um eine Abrechnung zwischen Schleusern handeln, da sich mehrere Rivalen um die Zonen für Abfahrten nach England streiten. Es könnte sich auch um eine Abrechnung zwischen einem Schleuser und seinem Kunden handeln, ebenfalls vor dem Hintergrund der Überfahrt nach England.“
Eine Einordnung des aktuellen Falls gibt auch Claire Millot von der regionalen NGO Salam, die im Jungle mit einer kostenlosen Essensausgaben präsent ist. Mehrere französische Medien zitieren sie mit der Einschätzung, dass Konflikte weniger zwischen den Bewohner_innen des Camps oder zwischen Communities unterschiedlicher Herkunft bestehen, sondern im Zusammenhang mit Schleusern auftreten. So gehe es etwa um die Kontrolle von Territorien: „Vor einigen Jahren waren es die Parkplätze, als die Schleuser die Leute auf Lastwagen luden, jetzt sind es die Dünen“, so Millot. Die aktuelle Gewalttat falle jedoch in eine Phase, in der die Spannungen im Camp eigentlich abgenommen hätten, da sich sehr viel weniger Personen dort aufhielten als vor einiger Zeit (vgl. La voix du Nord und InfoMigrants).
Die Staatsanwaltschaft Dunkerque leitete eine gerichtliche Untersuchung des Falles ein und beauftragte die Police Judiciaire (Kriminalpolizei) und das Office central de lutte contre le trafic illicite de migrants (OLTIM; Zentralbüro zur Bekämpfung der unerlaubten Migration) mit den Ermittlungen.
Das Opfer der tödlichen Schüsse ist der siebte Mensch, der seit Jahresbeginn im Zusammenhang mit der undokumentierten Migration über den Ärmelkanal ums Leben kam.