In der beginnenden Woche wird der britische Premierminister Rishi Sunak zunächst seine Pläne zur Verschärfung des Asylrechts darlegen und wenige Tage später mit dem französischen Präsidenten Macron zu einem Regierungsgipfel zusammenkommen. Voraussichtlich wird es auf eine Gesetzesinitiative zur Deportation aller Bootsmigrant_innen nach Ruanda oder in ein anderes Drittland hinauslaufen, die u.a. durch die Festsetzung der betroffenen Menschen in lagerähnlichen Einrichtungen flankiert sein wird. Ob es Sunak außerdem gelingt, Frankreich oder die EU zu einem seit Jahren angestrebten Rücknahmeankommen zu bewegen, wird sich zeigen. Was jedoch jetzt bereits klar ist: Ungeachtet aller auf Abschreckung zielenden Kampagnen der vergangenen Monate und Jahre ist die Zahl der Bootspassagen in diesem Winter weiter angestiegen. Wie die BBC unter Berufung auf das Innenministerium mitteilt, erreichten seit Jahresbeginn 2.950 Menschen in small boats britisches Hoheitsgebiet. Die Marke von 3.000 Passagier_innen war im Jahr 2022 erst in der zweiten Märzhälfte und im Jahr 2021 im Mai erreicht worden (siehe hier und hier).
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Zahl der Channel migrants einen Höchstwert von knapp 46.000 Personen erreicht – gegenüber etwa 28.000 Menschen im Vorjahr. Die aktuellen Zahlen belegen, dass sich die seit 2018 stetig zunehmende Frequentierung dieser maritimen Route auch in diesem Jahr fortsetzt, auch und gerade in den riskanten Wintermonaten.
Bis Ende Januar lag die Zunständigkeit für die Bootspassagen beim britischen Verteidigungsministerium, danach ging sie wieder, wie bereits in der Vergangenheit, auf das Innenministerium über (siehe hier). Laut Verteidigungsministerium passierten im Januar 1.180 Migrant_innen den Kanal, 159 Menschen weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Grund für diesen vorübergehenden Rückgang war die ungünstige Witterung mit wiederholten Stürmen. Danach stieg die Zahl der Passagier_innen stark an: Im Februar wurden etwa 1.770 Personen und 41 Boote registriert (alle Angaben nach dem BBC-Reporter Simon Jones).
Betrachten wir die Entwicklung im Februar genauer, so zeigt sich, dass sich durchschnittlich 43 Menschen auf einem Boot befanden. Ist dies bereits hoch riskant, so waren einzelne Boote noch sehr viel stärker überfüllt: Am 11. Februar erreichte ein Boot mit 52 Passagier_innen britisches Hoheitsgebiet, am 14. Februar sogar ein Boot mit 69 Menschen an Bord. Besonders stark frequentierte Tage waren der 4. Februar mit 218 Personen in vier Booten, der 7. Februar mit 204 Personen in fünf Booten, der 8. Februar mit 189 Personen in vier Booten, der 14. Februar mit 204 Personen in fünf Booten und der 22. Februar mit 192 Personen in sechs Booten bei Nebel. Todesfälle auf See wurden in diesem Jahr noch nicht dokumentiert.
Zu den Risiken trägt auch bei, dass auf französischer Seite Bootspassagen von einem Küstenabschnitt registriert wurden, der wesentlich weiter vom britischen Hoheitsgebiet entfernt ist als die aus Sicht der Behörden besonders neuralgische Küste zwischen Dunkerque, Calais und Boulogne-sur-mer. In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2023 wurden in der Gemeinde Saint-Quentin-en-Tourmont im Departement Somme 44 Exilierte aufgegriffen und eine als Schleuser verdächtige Person festgenommen. Der Ort befindet sich in der Normandie nahe der Somme-Mündung. Wie der Sender France3 berichtet, versuchen von dort aus „immer mehr Migranten“, nach Großbritannien zu gelangen, weil „die Polizeipräsenz in der Region Calais zugenommen hat“. Die Präfektur des Departemtents Somme habe daher die Überwachung der Küste intensiviert.