Am 10. Dezember 2024 leiteten die Innenministerinnen Großbritanniens und Deutschlands, Yvette Cooper und Nancy Faeser, in London das vierte Treffen der Calais Group. Das Gremium besteht aus den Fachminister_innen Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Belgiens und der Niederlande sowie Vertreter_innen der Europäischen Kommission, Frontex und Europol. Erstmals legte die Gruppe der fünf Länder einen Prioritätenplan für das kommende Jahr vor. Ergänzt wird er durch eine erste bilaterale Vereinbarung zwischen London und Berlin (siehe hier). Allerdings machen die Regierungskrisen in Frankreich und Deutschland die Grenzen dieses Formats sichtbar.
Schlagwort: Calais Group
Am 10. Dezember 2024 tagt in London zum vierten Mal die Calais Group, ein 2021 ins Leben gerufenes Treffen der Innenminister_innen Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Belgiens und der Niederlande. Kurz zuvor wurde der Text eines „Gemeinsamen britisch-deutschen Aktionsplans gegen irreguläre Migration“ bekannt. Es ist die erste bilaterale Vereinbarung zwischen Großbritannien und Deutschland in Bezug auf die Kanalroute, und es scheint, als wollen beide Staaten künftig eine stärkere Rolle in der Calais Group spielen. Im Mittelpunkt stehen erwartungsgemäß die Bekämpfung von Schleusungen und die Unterbrechung der Lieferketten für Boote, aber auch allgemeine Aussagen zur Verschärfung der Migrationspolitik. Insgesamt aber bleibt der Plan vage.
Die niederländische Polizei verhaftete am 13. November 2024 am Amsterdamer Flughafen einen türkischen Staatsangehörigen, der Boote und Bootsmotoren in die EU importiert und an Schleuser geliefert haben soll. Festnahmen mutmaßlicher Schleuser_innen sind nicht ungewöhnlich, allerdings ist der Fall ein gutes Beispiel für die wachsende Bedeutung multinationaler Ermittlungen im Hinterland der Grenze. Auch Deutschland dürfte erneut in den Fokus rücken.
Ein Tweet vom G7-Gipfel
Der Kampf gegen die Lieferketten der small boats soll internationaler werden. Innenminister Retailleau spricht beiläufig von den tödlichen Konsequenzen.
Ein Tweet des französischen Innenministers Bruno Retailleau rief Anfang Oktober 2024 empörte Reaktionen hervor. Der Minister räumte darin einen Zusammenhang zwischen dem verstärkten Überwachungsdruck und dem Anstieg der Todesfälle an der Kanalküste ein, so als seien die Toten der „price to pay“ (Utopia 56) für eine erfolgreiche Bekämpfung der irregulären Migration. Aber Retailleaus Tweet ist noch in anderer Hinsicht aufschlussreich, denn er spiegelt eine Internationalisierung des migrationspolitischen Ansatzes, der diese tödliche Dynamik verstärkt. Neben bestehende Formen grenzübergreifender Zusammenarbeit wie die Calais Group, Frontex und das Europol-Programm EMPACT tritt nun ein Aktionsplan der G7-Staaten. Schauen wir uns dies genauer an.
Das Border Security Command und die Re-Europäisierung der britischen Migrationspolitik
Am Tag ihres Amtsantritts, dem 5. Juli 2024, beendete die Labour-Regierung den Plan ihrer Vorgängerregierung, Geflüchtete nach der Überquerung des Ärmelkanals nach Ruanda zu verbringen. Auch der Illegal Migration Act, das gesetzgeberische Kernstück dieser Politik, wurde damit hinfällig. Aus den eingesparten Mitteln wird nun eine neue Institution geschaffen, um Polizei, Strafverfolgung und Nachrichtendienste zu bündeln: Das Border Security Command (BSC). Zugleich will die Regierung Starmer Antiterror-Methoden gegen Schleusungskriminalität anwenden und wieder stärker auf die europäische Zusammenarbeit setzen – voraussichtlich mit fatalen indirekten Folgen für die Exilierten auf der Kanalroute.
Teil 2: Die Operational Task Forces DUNE und WAVE
Deutschland ist auf mehreren Ebenen in die Bekämpfung der Migration auf der Kanalroute eingebunden. Im ersten Teil dieser Serie beschäftigten wir uns mit der Calais Group, einem seit 2021 bestehenden Forum der Innenministerien Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Deutschlands sowie Frontex und Europol. Ein Fokus der jährlichen Treffen liegt auf der Zerschlagung der Infrastrukturen und Lieferketten für Schleusungen per Schlauchboot. Eine Schlüsselrolle hierfür spielen sogenannte Operational Actions bzw. Operational Task Forces (OTF) unter dem Dach der europäischen Ermittlungsplattform EMPACT. Die Arbeit einer solchen OTF ermöglichte im Juli 2022 mehrere Festnahmen und Razzien in Deutschland, die kürzlich zu Verurteilungen durch ein belgisches Gericht führten (siehe hier). In diesem Beitrag möchten wir die Struktur der Operational Actions bzw. Operational Task Forces nachzeichnen.
Teil 1: Calais Group
Das britische Grenzregime basiert auf bi- und multilateralen Abkommen mit Frankreich und weiteren Anrainerstaaten von Ärmelkanal und Nordsee. Hinzu kommen geografisch entfernte Staaten, denen bestimmte Funktionen bei der Vorfeldbekämpfung der Migration (Türkei) oder der Aufnahme abgewiesener Migrant_innen (Ruanda) zufallen sollen. Mit der EU besteht bislang keine migrationspolitische Rahmenvereinbarung, was aber nicht bedeutet, dass europäische Grenz-, Polizei- und Justizbehörden nicht auf anderer Ebene eingebunden wären. Auch Deutschland ist Teil dieser Strukturen. Aber worin genau besteht der deutsche Anteil am britischen Grenregime? Wir möchten dieser Frage in einer lockeren Folge von Beiträgen nachgehen. Am Anfang steht die Calais Group, ein 2021 geschaffener Rahmen für bereits bestehende und wohl auch für künftige Vorhaben.