Neun Boote mit 209 Geflüchteten an Bord erreichten in der Nacht vom 28. auf den 29. April 2021 von Frankreich aus Großbritannien. Es war die größte Anzahl erfolgreicher Channel crossings seit Jahresbeginn. Insgesamt haben in diesem Jahr nach Angaben der BBC bereits „mehr als 1.850“ Migrant_innen den Ärmelkanal in kleinen Booten passiert. Das rechte Portal Migration Watch spricht sogar von 2.004 Personen und schlägt die üblichen alarmistischen Töne an. Wieviele Migrant_innen genau es auch geschafft haben mögen – die schon im Februar und März sichtbare stärkere Frequentierung der Kanalroute (siehe hier und hier) hält an. Zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres war weniger als tausend und im gesamten Jahr 2019 knapp zweitausend Personen die Bootspassage gelungen.
Am 29. April war auch die zivilgesellschaftliche Organisation Channel Rescue auf dem Ärmelkanal unterwegs, um die Operationen der britischen Border Force zu beobachten. „Unser Auftrag? Sicherzustellen, dass die Behörden ihre Menschenrechtsverpflichtungen einhalten. An einem der verkehrsreichsten Tage für Überfahrten mit kleinen Booten in diesem Jahr wurden wir Zeuge des herzzerreißenden Anblicks von Kanalüberquerungen, darunter ein Boot voller Familien mit kleinen Kindern, das am Strand entladen wurde“, berichtete die Gruppe später.
Nach Angaben des britischen Home Office hätten die französischen Behörden in der gleichen Nacht 166 Passageversuche unterbrochen; alles in allem hätten 375 Personen in dieser Nacht die Überfahrt versucht (vgl. InfoMigrants). Auch an anderen Tagen im April waren Bootspassagen in größerem Umfang gelungen, so 113 Personen in sieben Booten am 19. April und 132 Personen in sechs Booten am 20. April.
In verschiedenen Statements nannte das Home Office Zahlen, die darauf schließen lassen, dass die Erfolgsaussicht eines Passageversuchs weiterhin bei etwa 50 Prozent liegt; tatsächlich dürfte sie etwas darüber liegen, da vermutlich auch mehrmalige vereiltelte Versuche der gleichen Person in die Zahlen eingehen.
Ein Bericht der Calaiser Lokalzeitung La voix du Nord über die Nacht vom 27. auf den 28. April vermittelt einen Einblick in das Geschehen auf der französischen Seite. Demnach versuchten auch in dieser Nacht viele Migrant_innen, den Kanal per Boot zu überqueren. Am frühen Morgen habe die Polizei ein Fahrzeug gestoppt, das sich einer Kontrolle habe entziehen wollen, und darin ein Boot und einen Benzinkanister gefunden. Die beiden Personen, ein Niederländer und ein in den Niederlanden lebender Iraner, seien festgenommen worden. Einige Stunden später habe die Polizei dann am Strand von Hemmes-de-Marck bei Calais das Ablegen eines motorisierten Bootes mit 43 Personen irakischer und vietnamesischer Nationalität vereitelt, allerdings ohne jemanden festzunehmen.
„Diese Versuche waren vorhersehbar“, bemerkte das Blatt und nannte als Grund das Zusammentreffen mehrerer Faktoren: „ein schwacher Wind, hohe Gezeitenkoeffizienten, aber vor allem ein Vollmond über mehrere Tage. Elemente, die von den Schmugglerorganisationen genutzt werden und den Polizeikräften, die damit rechnen, gut bekannt sind.“
Obwohl die französische Seite die Überwachung des Küstenabschnitts von Boulogne-sur-mer über Calais bis Dunkerque verstärkt hat und hierfür erhebliche finanzielle Mittel Großbritanniens erhält, geht die Strategie nicht auf. Wie auch anders? Sie funktioniert seit zwei Jahrzehnten nicht.