Kategorien
Channel crossings & UK

Fast 27.000 Bootspassagen seit Jahresbeginn

Entwicklung der Channel crossings in einer Darstellung der BBC. (Quelle: BBC, 22. November 2021)

Anders als in den Vorjahren, wird die Kanalroute in diesem Herbst nicht weniger, sondern trotz riskanterer nautischer Bedingungen stärker frequentiert. Was bereits Anfang November zu beobachten war (siehe hier), hat sich nun bestätigt. Zum vierten Mal in diesem Monat haben an einem Tag zwischen 800 und 1.200 Migrant_innen den Ärmalkanal per Boot durchquert. Insgesamt stieg die Zahl der Bootspassagen seit Jahresbeginn auf knapp 27.000 Personen an.

Bis Oktober 2021 hatten nie mehr als tausend Menschen pro Tag den Kanal durchquert, auch wenn britische Boulevardzeitungen zuweilen vorschnell das Überschreiten dieser Marke verkündeten. Nachdem am 4. November 853 und am 12. November 1.185 Channel crossers britisches Hoheitsgebiet erreicht hatten, waren es am 16. November 1.131 und am 20. November noch einmal 886 Menschen. Am gestrigen 22. November meldete BBC, dass seit Jahresbeginn mehr als 25.700 Bootsmigrant_innen angekommen seien. Die über elfhundert Personen vom 16. November waren in dieser Zahl allerdings noch nicht enthalten, da das Innenministerium sie erst mit Verspätung bekannt gab – wie oft nach sark frequentierten Tagen. Eine vom Sender erstellte Grafik (siehe oben) verdeutlicht, dass die Entwicklung in diesem Herbst wesentlich dynamischer verläuft als in den beiden Vorjahren.

Die französische Lokalzeitung La voix du Nord berichtet einmal mehr von zahlreichen Rettungseinsätzen. Am 19. und 20. November seien im Seegebiet vor Boulogne-sur-Mer, Calais und Dunkerque 243 Exilierte aus Seenot gerettet worden. In einer Erklärung listete die Seepräfektur sieben Rettungsschiffe verschiedener staatlicher und ziviler Organisationen auf, die an den Einsätzen beteiligt waren. Dies, so kommentierte die Zeitung, „vermittelt einen Eindruck von der Intensität dieser neuen Episode“. Während der ersten acht Monaten des Jahres 2020 hätten die französischen Behörden in 15.400 Fällen Exilierte am Ablegen gehindert und in 3.500 Fällen Exilierte auf See gerettet. Inzwischen hätten sich die Zahlen mehr als verdoppelt und lägen bei etwa 31.500 Ablegeversuchen und 7.800 auf See Geretteten.

Mögliche Vermissten- oder sogar Todesfälle während der jüngsten Überfahrten wurde bislang nicht gemeldet (zu den Fällen der vergangenen Wochen siehe hier).

Die aktuellen Zahlen der Channel crossings dokumentieren eindrucksvoll das Scheitern des Versuchs, die Kanalroute durch die Sekuritisierung der französischen Kanalküste und die Erzeugung abschreckender Lebensbedingungen schließen zu wollen. Gleichwohl konstituiert dies keineswegs die neue „Massenmigrationskrise“ (mass migration crisis), von der die britische Innenministerin Priti Patel nun unter Verweis auf die angeblich offenen Grenzen der EU spricht, um namentlich von Frankreich und Belgien schärfere Maßnahmen einzufordern.

Denn, so der Guardian: „[D]ie Zahl der Menschen, die ins Vereinigte Königreich kommen, um Asyl zu beantragen, ist im vergangenen Jahr um 4 % zurückgegangen und liegt bei weniger als der Hälfte des Wertes der frühen 2000er-Jahre. Großbritannien erhält nur einen Bruchteil der Asylanträge von Deutschland und Frankreich und weniger pro Einwohner als der EU-Durchschnitt“. Der Zunahme der Bootsüberfahrten stehe nicht zuletzt ein starker Rückgang der Einreisen auf dem Luftweg gegenüber – ein Migrationspfad, der Nordfrankreich nie tendiert hat und dort auch nie sichtbar wurde.