„Spoke to two people in Calais who attempted to cross the Channel yesterday in what was the highest number of people to reach the UK by small boat. They are dejected it wasn’t them, but buoyed up by the news. Hopeful they’ll make it in the next few days, not at all deterred.“ Mit diesen Worten beschrieb die britische Journalistin Nicola Kelly ihre Eindrücke, nachdem am 22. August 2022 bei günstiger Witterung fast 1.300 Menschen die Passage des Ärmelkanals gelungen war.
Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums erreichten an diesem Tag 27 Schiffe mit 1.295 Passagier_innen britisches Hoheitsgebiet. Seit der verstärkten Frequentierung der Kanalroute im Herbst 2018 waren es noch nie so viele Menschen an einem einzelnen Tag. Die Gesamtzahl der erfolgreichen Passagen seit Jahresbeginn stieg damit auf mehr 22.560 ohne die 187 Personen, die einen Tag nach dem ‚Rekord‘ in vier Booten übersetzten.
Tatsächlich hat es allerdings bereits Tage gegeben, an denen punktuell eine ähnliche oder sogar noch höhere Anzahl von Geflüchteten auf dem Ärmelkanal unterwegs war, teils jedoch ohne ihr Ziel zu erreichen. So erinnert die Zeitung La Voix du Nord auf den 3. November 2021 hin: „An diesem Tag befanden sich rund 2.000 Migranten im Ärmelkanal und versuchten, England zu überqueren. […] Doch nicht allen gelang es, nach England zu gelangen. Nach Angaben der Seepräfektur für den Ärmelkanal und die Nordsee wurden 779 Migranten in französischen Gewässern gerettet und in verschiedene Häfen an der Küste […] gebracht. Eine Person kam bei der versuchten Passage ums Leben. Eine weitere Person wurde vermisst.“ Aufgrund der günstigeren Bedingungen im Sommer liegt die Zahl der in Seenot geratenen Boote momentan heute sehr viel geringer als damals, auch melden die französischen Behörden geringere Zahlen von Menschen, deren Überfahrt bereits auf dem franösischen Festland unterbunden wurde. Die Chance, dass eine Überfahrt bei allen damit verbundenen Risiken gelingt, ist also vergleichsweise hoch.
Am Tag bevor die knapp 1.300 Menschen in See stachen, sprach Kelly mit Geflüchteten in Calais über den britisch-ruandischen Migrationsdeal und schrieb über die abschreckende Wirkung, die die Londoner Regierung durch ihn zu erzielen wünscht: „Every single person I’ve spoken to has heard about the Rwanda plans – and every single of them says they’ll cross anyway. Under, in or wedged between lorries, in a dinghy, however they can, no policy or rhetoric will deter them from their dream of reaching the UK.“
Übrigens war Nicola Kelly, bevor sie sich als Journalisten zu migrationspolitischen Beiträgen u.a. im Guardian einen Namen machte, für das britische Innenministerium tätig gewesen und hatte mit der Fabrikation einer hostile environment für die in Nordfrankreich ausharrenden Migrant_innen zu tun gehabt. Nachdem sie die Seite gewechselt hat, gab sie wertvolle Einblicke in die Logik des UK Home Office. Sie weiss also sehr gut, wovon sie redet, wenn sie auf die fatale Wirkmacht und Wirkungslosigkeit antimigrantischer Politik und Rhetorik verweist.