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Channel crossings & UK

11.500 Bootspassagen in der ersten Jahreshälfte

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres ist rund 11.500 Exilierten die Überfahrt nach Großbritannien gelungen. Nach einer Phase mit starkem Wind nahm die Zahl der Passagen im Juni stark zu. Wenige Tage zuvor hatte der britische Premierminister Rushi Sunak von einem Rückgang der Passagen um 20 % gesprochen und für sich in Anspruch genommen, durch seine stop the boats-Politik eine Trendwende bewirkt zu haben. Doch die aktuelle Entwicklung widerspricht dieser Darstellung.

Tweet des britischen Premierministers im Rahmen der Stop the boats-Kampagne, 5. Juni 2023. (Quelle: Rishi Sunak / Twitter)

Am 5. Juni 2023 präsentierte sich Sunak in einer Rede zum widerholten Mal als derjenige, der „die Boote stoppen“ werde. Ein am selben Tag auf Twitter veröffentlichtes Video zeigt ihn auf See vor den Kreidefelsen der englischen Küste. Die Zahl der Überfahrten, so heißt es darin, sei zum 20 % zurückgegangen und man werde sie weiter absenken. „Under my leadership, we will stop the boats“, verspricht er – eine Floskel, die durch die vermeintliche Trendwende nun scheinbar in den Bereich des Möglichen zu rücken scheint.

Sunak verbreitete diese Botschaft im zeitlichen Zusammenhang zweier Arbeitstreffen auf Ebene der Minister_innen bzw. Staatssekretäre, bei denen es um die Umsetzung der zwischen Großbritannien und Frankreich getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der ‚illegalen Migration‘ auf der Kanalroute ging. Am 2. Juni 2023 war der britische Immigration Minister Robert Jenrick in Paris mit dem französischen Innenminister Gérald Darmanin zusammengetroffen. Am 15. Juni traf Darmanin bei der National Crime Agency in London seine Amtskollegin Suella Braverman und ließ sich in Dover das Equipment der britischen Küstenwache zur Überwachung des Ärmelkanals zeigen.

Als Sunak von einem Rückgang der Channel crossing um ein Fünftel sprach, schienen aktuelle Zahlen seine Behauptung zu bestätigen. In der Tat war in den Vormonaten deutlich geworden, dass etwas weniger Exilierte den Kanal durchquerten als 2022 (siehe hier). Ende Mai setzte zusätzlich eine Phase ein, in der wegen Starkwind keine Überfahrten mehr stattfanden und die bis zum 9. Juni andauerte. In genau dieser Phase sprach Sunak von einer Trendwende infolge seiner Politik.

Seitdem hat sich die Situation verändert. Mit der Verbesserung der nautischen Bedingungen setzten am 10. Juni vier Boote mit 154 Passagier_innen über. Wie stets nach witterungsbedingten Pausen, folgten mehrere Tage mit besonders vielen Überfahrten: Am 11. Juni setzten zwölf Boote mit 616 Personen – die höchste Zahl an einem einzigen Tag seit Jahresbeginn – und am 12. Juni noch einmal elf Boote mit 545 Personen über. Ab dem 13. Juni pendelten die täglichen Zahlen zwischen einem und zehn Booten bzw. zwischen 45 und 486 Personen. Im selben Zeitraum fanden lediglich an fünf Tagen keine Überfahrten statt. Bereits bis zum 22. Juni passierten mehr Exilierte den Kanal als im gesamten Juni des Vorjahres, so der BBC-Journalist Simon Jones. Im gesamten Monat waren es knapp 3.900 Menschen und 81 Boote. Auf jedem Schlauchboot befanden sich durchschnittlich 48 Menschen.

Insgesamt zeigt sich für die erste Hälfte dieses Jahres weiterhin ein geringer Rückgang gegenüber dem Vorjahr: So zählte das britische Innenministerium von Januar bis Juni 2022 insgesamt 12.747 Bootspassagier_innen. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 waren es nach vorläufiger eigener Berechnung 11.501 Personen, also 1.246 weniger als im Vorjahreszeitraum. Dies entspricht einem Rückgang um knapp 10 Prozent. Als Sunak von einem doppelt so hohen Rückgang sprach, war dies lediglich eine Momentaufnahme zu einem für ihn politisch vorteilhaften Zeitpunkt. Die Erfolgsmneldung relativiert sich noch stärker, wenn wir die Entwicklung der früheren Jahre einbeziehen: In der ersten Hälfte des Jahres 2021 hatten weniger als 6.000 und im selben Zeitraum des Jahres 2020 lediglich rund 2.000 Exilierte übergesetzt (siehe hier und hier).

Nach wie vor bleiben die Passagen lebensgefährlich, nicht zuletzt wegen der minderwertigen Qualität der Boote und der großen Personenzahl pro Boot. Doch obschon es im Ärmelkanal durchaus zu tödlichen Unfällen kam, allerdings ohne Bezug zum Migrationsgeschehen, wurde in der ersten Jahreshälfte kein Todesfall einer exilierten Person auf See dokumentiert. Allerdings stehen sowohl die Monate mit den meisten Überfahrten, als auch die riskantesten Monate des Jahres erst noch bevor.