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Channel crossings & UK

Bibby Stockholm – zweiter Versuch

Zum zweiten Mal startete die britische Regierung am 20. Oktober 2023 die Unterbringung von Geflüchteten auf dem Schiff Bibby Stockholm im Hafen von Portland an der südenglischen Kanalküste. Ein erster Versuch, das Schiff als Massenunterkunft zu nutzen, war Anfang August gescheitert. Damals waren zunächst Brandschutzmängel vermutet und kurz darauf eine Legionellen-Belastung der Trinkwasserleitungen festgestellt worden (siehe hier). Das Hin und Her um die Belegung des Schiffs fand starken medialen Widerhall bis hinein in deutsche Nachrichtenformate. Weniger beachtet wurde, dass währenddessen die Unterbringung in einer anderen Massenunterkunft weiterging. Betroffene klagten dort über Bedingungen, die ihnen wie eine Inhaftierung erschienen.

Die Bibby Stockholm wurde von der britischen Regierung als Teil eines Systems lagerartiger Massenunterkünfte angemietet. Dazu zählt die ehemalige Luftwaffenbasis Wethersfield nordöstlich von London, die für 1.700 Männer ausgelegt ist. Am 12. Juli, kurz vor der geplanten Inbetriebnahme der Bibby Stockholm, wurden dort die ersten Geflüchteten untergebracht. Seither ist die Einrichtung in Betrieb. Ende August lag die Zahl der dort Untergebrachten jedoch erst bei 94, im September scheint sie Medienberichten zufolge kaum höher gelegen zu haben.

Sowohl Wethersfield als auch die Bibby Stockholm sind Teil der Stop the boats-Kampagne der britischen Regierung. Aus ihrer Sicht dienen sie der Abschreckung potenzieller Channel migrants und der Kostenersparnis bei der Unterbringung von Geflüchteten. Hinzu kommt das weitergehende Ziel, Channel migrants nach ihrer Ankunft zu inhaftieren, ihnen keinen Zugang zu einem britischen Anerkennungsverfahren mehr zu erlauben und sie stattdessen nach Ruanda zu deportieren. Da das entsprechende Abkommen mit Ruanda jedoch bislang nicht umgesetzt werden konnte, liegt auch die Inhaftierung trotz einer inzwischen verabschiedeten gesetztlichen Regelung auf Eis (siehe hier).

In Wetherfield scheinen jedoch zumindest haftähnliche Bedingungen geschaffen worden zu sein. BBC zitierte im September einen iranischen Bewohner mit Klagen über Insektenbefall, fehlenden Internetzugang, mangelhaftes Essen und Ähnliches. Er verglich die abseits gelegene Unterkunft mit einem Gefängnis. „Von Tag zu Tag wird meine mentale Verfassung schlechter.“ Auch andere Bewohner sahen sich an ein Gefängnis erinnert und schilderten psychischen Belastungen.

Mindestens acht Bewohner traten im Septmeber in einen Hungerstreik, um gegen die Isolation und die Unterbringungsbedingungen zu protestieren. Der Vorsitzende des Gemeinderats von Wethersfield, Nick Godley, bestätigte die Kritik der Geflüchteten: „Uns wurde ein Mittagessen angeboten, und das Essen war entsetzlich. Der Standard der Zimmer ist unglaublich einfach,“ erklärte er gegenüber BBC unter Bezug auf einen Besuch der Unterkunft.

Die Erfahrungen in Wethersfield werfen ein Schlaglicht auf die Konzeption der Bibby Stockholm. Medienberichten zufolge waren die im ersten Versuch kurzzeitig auf dem Schiff untergebrachten 39 Männer nach dem Legionellenbefall zunächst in einem Hotel einquartiert worden. Dann hatte das Innenministerium ihnen schriftlich mitgeteilt, dass sie erneut auf dem Schiff untergebracht würden und keine Wahl hätten.

Am 20. Oktober traf, begleitet von antirassistischen Protesten, ein erster Bus bei dem für rung 500 Männer ausgelegten Schiff ein. Eine Aktivistin, die Kontakt zu den an Bord untergebrachten Männern hatte, erklärte gegenüber BBC, diese fühlten sich wie in einem Gefängnis oder litten darunter, auf dem Meer zu sein. Ein Betroffener sprach gegenüber dem Sender von einer für ihn „beängstigenden“ Situation. Die Bibby Stockholm werde bald überfüllt sein: „Wenn es nur ein einziges Virus gibt, weiß man, dass alle davon betroffen sein werden. Ich glaube, das wird für uns alle sehr schlimm sein.“ In Erinnerung an die frühere, gescheiterte Unterbringung auf dem Schiff ergänzte er: „Ich habe dort fünf Tage lang gelebt und habe Erfahrung mit dem Kahn, und deshalb möchte ich nicht zurückkehren. Im Hotel können wir jederzeit kommen und gehen, wir sind frei, und [auf dem Kahn] sind wir an etwas gebunden – es ist wie ein Gefängnis. Es ist für uns alle schwierig, und viele haben gesagt, dass sie nicht zurückkehren wollen.“

Auch wenn die Zahl der auf der Bibby Stockholm untergebrachten Personen bislang sehr viel geringer ist als von der Regierung bezweckt, dürfte sie ein starkes Interesse daran haben, diese Zahl aufzustocken. Denn nach einer Schätzung der liberaldemokratischen Partei erzeugt das Schiff jährliche Kosten in Höhe von 20 Millionen Pfund.