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Tödliche Havarie bei Calais

Ärmalkanal, 28. Februar 2028. (Foto: PREMAR)

Erneut hat sich auf dem Ärmelkanal eine tödliche Havarie ereignet – bereits die zweite in diesem Jahr. Eine Frau wurde leblos geborgen und später für tot erklärt, zwei weitere Personen sind vermisst und dürften bei den winterlichen Wassertemperaturen keine Überlebenschance gehabt haben. Eine Suchaktion im Seegebiet bei Wissant nahe Calais endete ergebnislos. Am selben Tag, dem 28. Februar 2024, scheiterten mehrere weitere Passageversuche und 179 Menschen mussten gerettet werden, während fünf Boote britisches Hoheitsgebiet erreichten.

Wie die französische Seepräfektur für den Ärmelkanal und die Nordsee (PREMAR) mitteilt, wurde die regionale Rettungsleitstelle CROSS Gris-Nez am Vormittag des 28. Februar über die Abfahrt eines Schlauchbootes in der Gegend von Wissant, einem Küsten- und Urlaubsort westlich von Calais, informiert. Die Leitstelle setzte draufhin ein von der Marine gecharterte Schiff ein, „um sich zu vergewissern, dass das Boot keine Hilfe benötigte. Als sie dort ankamen, meldeten die Personen an Bord des Bootes keine besonderen Vorkommnisse. Das Boot setzte seine Fahrt fort.“ Gegen 10:30 Uhr sei die Leitstelle dann über „ein zweites Boot in der Nähe“ informiert worden, das um Hilfe bat. „Das CROSS setzte daraufhin die RIAS Abeille Normandie ein, um dem Boot zu helfen. Am Zielort angekommen, nahm das RIAS Abeille Normandie 55 Personen auf, die anschließend im Hafen von Boulogne-sur-Mer abgesetzt wurden.“

Im weiteren Verlauf scheint es dann zur Havarie des ersten Bootes gekommen zu sein. PREMAR teilt hierzu mit: „Einige Minuten später löst das Unterstützungs- und Hilfsschiff Seine der französischen Marine die Eulimene ab, um das Boot zu überwachen. Gegen Mittag baten die Passagiere des Bootes um Rettung und Bergung. Die Besatzung beginnt mit der Rettung und nimmt 56 Personen an Bord. Nachdem die Rettung gegen 13.20 Uhr abgeschlossen war, informierten die geretteten Personen die Besatzung der BSAM Seine darüber, dass drei Personen früher am Tag bei dem Versuch, das Meer zu überqueren, über Bord gegangen seien.“

Die Seine habe daraufhin mit der Suche begonnen und einen im Wasser treibenden Körper gesichtet. Zusätzlich seien der Marine-Hubschrauber Dauphin und das Patrouillenboot Flamant in die Suche einbezogen worden. „Als der Hubschrauber Dauphin vor Ort war, lokalisierte er drei im Wasser treibende Personen, von denen eine bereits untergetaucht war. Mit den Hinweisen des Hubschraubers fand und barg die BSAM Seine eine erste Person, die bewusstlos war und nicht mehr an Bord reanimiert werden konnte. Sie wird leider am Kai für tot erklärt“, heißt es in der Erklärung der Seepräfektur.

Die weitere Suche verlief erfolglos und wurde nach einer Verschlechterung der Wetterbedingungen beendet. Die momentan niedrigen Wassertemperaturen führen bereits nach kurzer Zeit zur Bewusstlosigkeit und zum Aussetzen der Körperfunktionen. Daher ist davon auszugehen, dass die beiden Vermissten nicht mehr leben. Die geretteten Passagier_innen wurden am späten Nachmittag im Hafen von Calais an Land gebracht. Noch am selben Tag leitete die Staatsanwaltschaft von Boulogne-sur-Mer, wie in allen vergleichbaren Fällen, strafrechtliche Ermittlungen ein.

Über die konkreten Ursachen und den Verlauf der Havarie sind bislang keine weiteren Details bekannt. Ebensowenig haben sich betroffene Passagier_innen bislang öffentlich geäußert. Auch die Identität der Opfer ist unbekannt, allerdings meldet BBC, dass es sich bei der bewusstlos geborgenen Person um eine Frau handeln soll.

Die Lokalzeitung La voix du Nord und die Seepräfektur weisen darauf hin, dass am Unglückstag mehrere Boote bei regnerischem Wetter versucht haben, den Ärmelkanal zu durchqueren. Bei mehreren Einsätzen seien 179 Personen gerettet worden. Bereits in der Nacht kam es bei Berck zu einem Rettungseinsatz, als die Polizei die Abfahrt einer Gruppe von etwa 50 Personen verhinderte. „Etwas später in der Nacht versuchten mehrere Dutzend Migranten, an Bord eines Schlauchbootes zu gelangen, und fanden sich ‚unterkühlt‘ in Merlimont wieder. Mehrere Personen wurden ins Krankenhaus gebracht“, so die Zeitung. Beide Orte liegen südlich von Boulogne-sur-Mer und damit in einem Küstenabschnitt, an den sich ein Teil der Bootspassagen nach der stärkeren Überwachung der Strände bei Calais und Dunkerque verlagert hat. Ein weiterer Vorfall ereignete sich östlich von Calais: Vor Hemmes d’Oye havarierte ein Schlauchboot mit etwa 50 Passagier_innen, die sich schwimmend an den Strand retten konnten.

Zwischen dem 1. und 28. Februar fanden nach Angaben der britischen Behörden an insgesamt sieben Tagen Überfahrten statt, bei denen 920 Menschen bzw. 25 Boote britisches Hoheitsgebiet erreichten. Tage mit besonders vielen Überfahrten waren der 25. Februar (290 Menschen auf fünf Booten) und der 28. Februar, also der Tag der jüngsten Havarie. An diesem Tag passierten 249 Menschen auf fünf Booten die Seegrenze nach Großbritannien. Insgesamt registrierten die britischen Behörden seit Jahresbeginn 2.255 Bootspassagier_innen.

„Alle hatten die Welt auf der Suche nach einem Zufluchtsort durchquert, bevor sie hier in Frankreich ertranken. Die Situation an der Grenze ist katastrophal“, schrieb die zivilgesellschaftliche Organisation Utopia 56 nach der Havarie. Mit den vermutlich drei Opfern steigt die Zahl der seit Jahresbeginn im Zusammenhang mit der kanalübergreifenden Migration getöteten Menschen auf elf. Bereits am 14. Januar waren fünf Menschen beim Ablegen eines Bootes nahe Wimereux ertrunken. Am 27. Januar wurde bei Calais die Leiche eines Exilierten entdeckt, der, versteckt in einem Lastwagen, von der Ladung zerquetscht worden war. Am 4. Februar wurde ein Mann in der Nähe des Jungle von Loon-Plage erschossen. Am 8. Februar starb ein Exilierter im Pariser Bahnhof Gare du Nord auf dem Dach eines Eurostar-Zuges mit dem Ziel Großbritannien. Seit Herbst 2023 beobachten wir eine Häufung tödlicher Ereignisse, die sich nun also fortsetzt.