Am Abend des 2. Juli 2024 wurde eine Gruppe von Exilierten in Calais von einem Auto attackiert; einer von ihnen wurde verletzt, befindet sich aber nicht in Lebensgefahr. Es handelt sich offenbar um eine vorsätzliche Tat. Sie reiht sich in eine Serie von Gewaltakten und Drohungen gegen Geflüchtete und Unterstützer_innen ein, die nach Ansicht lokaler Beobachter_innen durch die mögliche Bildung einer rechtsextremen Regierung in Frankreich motiviert sind (siehe hier, hier und hier).
Schlagwort: Gewalt
Calais nach der Zäsur der Europawahl am 9. Juni 2024
Die Auflösung der französischen Nationalversammlung nach der Europawahl am 9. Juni 2024 hat der extremen Rechten die Möglichkeit eröffnet, erstmals in der Geschichte der Fünften Republik die Regierungsmacht an sich zu ziehen. Der 9. Juni war zugleich Auslöser rassistischer und rechtsextremer Gewalttaten, auch an der nordfranzösischen Küste. Sie richteten sich sowohl gegen Exilierte als auch gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Das französische Onlinemedium InfoMigrants gab am 21. Juni einen Einblick in die Vorfeldsituation der möglichen politischen Katastrophe.
Journalistische Recherchen werfen Schlaglichter auf das Geschäft mit dem Grenzregime am Ärmelkanal
Es ist nicht möglich, das Geschehen auf der Kanalroute zu verstehen, ohne die Ökonomie, die Organisation und die Machtstrukturen des Schleusens in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig ist dieser Blick verstellt, denn das hochprofitable Geschäft vollzieht sich in einer für uns unzugänglichen Sphäre. Regelmäßig melden lokale Medien die Festnahme oder Verurteilung einer involvierten Person, doch haben diese oft nur eine unbedeutende Rolle gespielt. Die zunehmende Kriminalisierung der Steuerleute der Schlauchboote weitet den Vorwurf der Schleusung auf die Geflüchteten selbst aus und geht damit völlig an den Profiteuren des Geschäfts vorbei. Aufwändige internationale Polizeiaktionen, teils koordiniert durch Europol, richten sich zwar gegen übergeordnete Akteure, doch zeigen sie auch, dass diese kaum greifbar sind. Und nicht zuletzt kommt es immer wieder zu Tötungsdelikten, die an mafiose Strukturen erinnern. Aktuelle Medienrecherchen ermöglichen nun partielle Einblicke.
In der Nähe des Jungle von Loon-Plage bei Dunkerque ist am 1. April 2024 erneut ein Mensch getötet worden. Es ist dort bereits das zweite Tötungsdelikt seit Jahresbeginn, nachdem es in den Vorjahren wiederholt zu tödlicher Gewalt gekommen war. Die Taten werden kriminellen Netzwerken zugeschrieben, doch die Hintergründe der aktuellen Tat sind bislang unklar.
In der Nähe des Jungle von Loon-Plage wurde in der Nacht zum 4. Februar 2024 ein Mensch erschossen. Französische Medien berichten übereinstimmend, dass der Mann am Rand der Küstenautobahn A 16 auf dem Gemeindegebiet von Grande-Synthe entdeckt worden sei. Er sei durch eine Schusswunde im Brustbereich schwer verletzt gewesen, habe aber noch gelebt. Kurz darauf sei er auf dem Transport ins Krankenhaus, nach anderen Berichten im Krankenhaus, gestorben. Über seine Identität und die Hintergründe der Tat ist bislang nichts bekannt.
Tödliche Konflikte zwischen Exilierten
[Korrigiert, siehe unten] Im November 2023 starben in Calais zwei Exilierte an Verletzungen, die sie bei gewaltsam ausgetragenen Konflikten mit anderen Exilierten erlitten hatten. Die beiden Todesfälle resultieren aus zunehmenden Spannungen, die durch die bewusste Verknappung von Ressourcen noch verschäft werden.
Am frühen Morgen des 14. Februar 2023 wurde ein Mann aus dem Irak in einem Camp bei Loon-Plage westlich von Dunkerque erschossen. Über das Opfer, die Tat und ihre Hintergründe ist bislang nur wenig bekannt. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass in dem als Jungle von Loon-Plage bekannten Camp Menschen durch Schusswaffen verletzt und auch getötet wurden. Neben den unfassbar elenden Lebensbedingungen sind zirkulierende Waffen, aber auch gewaltsam ausgetragene Konflikte und Machtdemonstrationen rund um das Geschäft mit Schleusungen, seit Langem ein Problem.
Zwei Personen, die im Zuge der jüngsten Gewaltakte im Jungle von Loon-Plage schwer verletzt wurden, haben ihr Leben verloren. Wie die Zeitung La Voix du Nord berichtet, handelt es sich um einen der beiden Männer, die bei einer mutmaßlichen Racheaktion im Jungle von Loon-Plage schwer verletzt wurden, sowie um einen Mann, der dort auf offener Straße niedergeschossen wurde. Währenddessen räumten die Behörden den Jungle ein weiteres Mal.
Die gewaltsame Eskalation im Jungle von Loon-Plage westlich bei Dunkerque, in deren Verlauf am 30. August 2022 neun sudanische Bewohner durch Schusswaffen verletzt wurden, setzt sich fort. Lokalen Medien zufolge wurden am 6./7. September drei weitere Personen schwer verletzt und es ist fraglich, ob sie überleben werden. Zwei der Opfer stammen aus dem Sudan und eines aus Kurdistan. Die Presse vergleicht den modus operandi der Taten mit Hinrichtungen. Wir versuchen eine erste Rekonstruktion der Ereignisse auf Basis der lokalen Berichterstattung.
Im Jungle von Loon-Plage bei Dunkerque kam es am 30. August 2022 zu einem massiven Gewaltakt. Eine bewaffnete Gruppe schoss auf sudanische Bewohner_innen des Camps und verletzte neun Personen teils schwer. Hintergrund der Tat, die sich offenbar gezielt gegen die sudanische Community richtete, scheint die Durchsetzung geschäftlicher Interessen einer kurdischen Schleuserorganisation zu sein, allerdings könnten auch die prekären Verhältnisse im Camp den Konflikt geschürt haben. In der Nacht zum 1. September fielen erneut Schüsse. Das Geschehen wirft ein Schlaglicht auf eine Form ökonomisch motivierter Gewalt, die aus der Verschließung legaler Migrationswege resultiert und dabei selbst eine rassistische Dimension aufweist.