Die britische Regierung kündigt ein neuartiges Instrument zur Bekämpfung der „irregulären Migration“ an: Sanktionen gegen Schleusernetzwerke und Akteure, die von Bootspassagen am Ärmelkanal profitieren. Dies, so die Regierung, sei weltweit einzigartig und werde das Geschäft der Schleuser_innen im Kern treffen. Dabei bestehen Zweifel, ob dies gelingen kann. Indirekt könnte es einen populistischen Blick auf Migration verstärken.
Schlagwort: Migrationspolitik
2024 haben die Bootspassagen auf der Kanalroute deutlich zugenommen. Mit knapp 37.000 Personen liegt die Zahl der Ankünfte zwar niedriger als im Rekordjahr 2022, als etwa 46.000 Menschen auf diese Weise übersetzten, aber um ein Viertel höher als 2023. Das Jahr 2024 ist damit dasjenige mit den zweitmeisten Ankünften seit Entstehung der Kanalroute vor gut sechs Jahren. Allerdings ist die Passage sehr viel riskanter geworden und die 2023 begonnene Serie von Todesfällen erweist sich als dauerhaft.
Am 10. Dezember 2024 leiteten die Innenministerinnen Großbritanniens und Deutschlands, Yvette Cooper und Nancy Faeser, in London das vierte Treffen der Calais Group. Das Gremium besteht aus den Fachminister_innen Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Belgiens und der Niederlande sowie Vertreter_innen der Europäischen Kommission, Frontex und Europol. Erstmals legte die Gruppe der fünf Länder einen Prioritätenplan für das kommende Jahr vor. Ergänzt wird er durch eine erste bilaterale Vereinbarung zwischen London und Berlin (siehe hier). Allerdings machen die Regierungskrisen in Frankreich und Deutschland die Grenzen dieses Formats sichtbar.
Am 10. Dezember 2024 tagt in London zum vierten Mal die Calais Group, ein 2021 ins Leben gerufenes Treffen der Innenminister_innen Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Belgiens und der Niederlande. Kurz zuvor wurde der Text eines „Gemeinsamen britisch-deutschen Aktionsplans gegen irreguläre Migration“ bekannt. Es ist die erste bilaterale Vereinbarung zwischen Großbritannien und Deutschland in Bezug auf die Kanalroute, und es scheint, als wollen beide Staaten künftig eine stärkere Rolle in der Calais Group spielen. Im Mittelpunkt stehen erwartungsgemäß die Bekämpfung von Schleusungen und die Unterbrechung der Lieferketten für Boote, aber auch allgemeine Aussagen zur Verschärfung der Migrationspolitik. Insgesamt aber bleibt der Plan vage.
Die britische Innenministerin Yvette Cooper gab am 28. November 2024 den Abschluss mehrerer Vereinbarungen mit dem Irak und der Autonomen Region Kurdistan bekannt. Das Paket zielt auf die Unterstützung irakischer und kurdischer Behörden bei der Grenzsicherung und der Bekämpfung von Schleusungen. Das Kabinett Starmer intensiviert damit seine Strategie, die kanalübergreifende Migration durch die Ausweitung und Internationalisierung der Strafverfolgung zu reduzieren. Entsprechende Erwartungen richtet die Regierung auch auf das bevorstehende Treffen der Calais Group, in der auch die Bundesrepublik Deutschland vertreten ist.
Angesichts der zahlreichen Todesfälle fordert eine Gruppe von Bürgermeister_innen die Neuverhandlung des französisch-britischen Abkommens von Le Touquet aus dem Jahr 2003, das den Kern des Grenzregimes in der Ärmelkanalregion bildet. Ihre Initiative könnte einen dringend erforderlichen Raum für die Suche nach politischen Alternativen zur jetzigen Situation öffnen, wäre sie anders angelegt. Stattdessen umfasst sie vor allem Forderungen, die zu einer weiteren Verschlechterung der humanitären und menschenrechtlichen Situation im nordfranzösischen Grenzgebiet führen könnten.
Das im südenglischen Portland liegende Wohnschiff Bibby Stockholm wird zur Zeit geräumt. Die konservative britische Regierung hatte es im August 2023 als lagerartige Massenunterkunft für Männer in Betrieb genommen, die per Schlauchboot eingereist waren (siehe hier und hier). Wie angekündigt, gibt die Labour-geführte Regierung das Vorhaben nun auf und siedelt die Bewohner um.
Ein Tweet vom G7-Gipfel
Der Kampf gegen die Lieferketten der small boats soll internationaler werden. Innenminister Retailleau spricht beiläufig von den tödlichen Konsequenzen.
Ein Tweet des französischen Innenministers Bruno Retailleau rief Anfang Oktober 2024 empörte Reaktionen hervor. Der Minister räumte darin einen Zusammenhang zwischen dem verstärkten Überwachungsdruck und dem Anstieg der Todesfälle an der Kanalküste ein, so als seien die Toten der „price to pay“ (Utopia 56) für eine erfolgreiche Bekämpfung der irregulären Migration. Aber Retailleaus Tweet ist noch in anderer Hinsicht aufschlussreich, denn er spiegelt eine Internationalisierung des migrationspolitischen Ansatzes, der diese tödliche Dynamik verstärkt. Neben bestehende Formen grenzübergreifender Zusammenarbeit wie die Calais Group, Frontex und das Europol-Programm EMPACT tritt nun ein Aktionsplan der G7-Staaten. Schauen wir uns dies genauer an.
An interview with Utopia 56 on the new French government and the ongoing influence of the far right
During the French parliamentary elections in June and July 2024, we interviewed Utopia 56 about the consequences of the shift to the right for exiles in northern France, but also for solidarity and aid work (see here). At the time, the far-right Rassemblement National (RN) appeared to be on the verge of taking power, but the ad hoc left-wing alliance Nouveau Front Populaire managed an unexpected victory in the second round of elections. In the meantime, President Emanuel Macron has installed a conservative government. In light of these developments, we once again asked for an assessment. Just like then, we spoke to Célestin Pichaud from Utopia 56 in Grande-Synthe.
Das Border Security Command und die Re-Europäisierung der britischen Migrationspolitik
Am Tag ihres Amtsantritts, dem 5. Juli 2024, beendete die Labour-Regierung den Plan ihrer Vorgängerregierung, Geflüchtete nach der Überquerung des Ärmelkanals nach Ruanda zu verbringen. Auch der Illegal Migration Act, das gesetzgeberische Kernstück dieser Politik, wurde damit hinfällig. Aus den eingesparten Mitteln wird nun eine neue Institution geschaffen, um Polizei, Strafverfolgung und Nachrichtendienste zu bündeln: Das Border Security Command (BSC). Zugleich will die Regierung Starmer Antiterror-Methoden gegen Schleusungskriminalität anwenden und wieder stärker auf die europäische Zusammenarbeit setzen – voraussichtlich mit fatalen indirekten Folgen für die Exilierten auf der Kanalroute.