Die niederländische Polizei verhaftete am 13. November 2024 am Amsterdamer Flughafen einen türkischen Staatsangehörigen, der Boote und Bootsmotoren in die EU importiert und an Schleuser geliefert haben soll. Festnahmen mutmaßlicher Schleuser_innen sind nicht ungewöhnlich, allerdings ist der Fall ein gutes Beispiel für die wachsende Bedeutung multinationaler Ermittlungen im Hinterland der Grenze. Auch Deutschland dürfte erneut in den Fokus rücken.
Schlagwort: Schleuser
Das Border Security Command und die Re-Europäisierung der britischen Migrationspolitik
Am Tag ihres Amtsantritts, dem 5. Juli 2024, beendete die Labour-Regierung den Plan ihrer Vorgängerregierung, Geflüchtete nach der Überquerung des Ärmelkanals nach Ruanda zu verbringen. Auch der Illegal Migration Act, das gesetzgeberische Kernstück dieser Politik, wurde damit hinfällig. Aus den eingesparten Mitteln wird nun eine neue Institution geschaffen, um Polizei, Strafverfolgung und Nachrichtendienste zu bündeln: Das Border Security Command (BSC). Zugleich will die Regierung Starmer Antiterror-Methoden gegen Schleusungskriminalität anwenden und wieder stärker auf die europäische Zusammenarbeit setzen – voraussichtlich mit fatalen indirekten Folgen für die Exilierten auf der Kanalroute.
In der Nähe des Jungle von Loon-Plage wurde in der Nacht zum 4. Februar 2024 ein Mensch erschossen. Französische Medien berichten übereinstimmend, dass der Mann am Rand der Küstenautobahn A 16 auf dem Gemeindegebiet von Grande-Synthe entdeckt worden sei. Er sei durch eine Schusswunde im Brustbereich schwer verletzt gewesen, habe aber noch gelebt. Kurz darauf sei er auf dem Transport ins Krankenhaus, nach anderen Berichten im Krankenhaus, gestorben. Über seine Identität und die Hintergründe der Tat ist bislang nichts bekannt.
Teil 2: Die Operational Task Forces DUNE und WAVE
Deutschland ist auf mehreren Ebenen in die Bekämpfung der Migration auf der Kanalroute eingebunden. Im ersten Teil dieser Serie beschäftigten wir uns mit der Calais Group, einem seit 2021 bestehenden Forum der Innenministerien Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Deutschlands sowie Frontex und Europol. Ein Fokus der jährlichen Treffen liegt auf der Zerschlagung der Infrastrukturen und Lieferketten für Schleusungen per Schlauchboot. Eine Schlüsselrolle hierfür spielen sogenannte Operational Actions bzw. Operational Task Forces (OTF) unter dem Dach der europäischen Ermittlungsplattform EMPACT. Die Arbeit einer solchen OTF ermöglichte im Juli 2022 mehrere Festnahmen und Razzien in Deutschland, die kürzlich zu Verurteilungen durch ein belgisches Gericht führten (siehe hier). In diesem Beitrag möchten wir die Struktur der Operational Actions bzw. Operational Task Forces nachzeichnen.
Es war einer der bislang größten Menschenschmuggel-Prozesse in Verbindung mit klandestinen Kanalüberquerungen: 21 Mitglieder eines kurdisch-irakischen Netzwerks, das von Deutschland aus operierte, standen im Spätsommer im belgischen Brügge vor Gericht. Bei Razzien in mehreren Ländern im Juli 2022 waren rund 120 Boote und 1.000 Schwimmwesten sichergestellt worden. Mitte Oktober wurden in Brügge die Urteile gesprochen: 20 der Angeklagten wurden wegen Menschenschmuggel verurteilt, einer freigesprochen.
Teil 1: Calais Group
Das britische Grenzregime basiert auf bi- und multilateralen Abkommen mit Frankreich und weiteren Anrainerstaaten von Ärmelkanal und Nordsee. Hinzu kommen geografisch entfernte Staaten, denen bestimmte Funktionen bei der Vorfeldbekämpfung der Migration (Türkei) oder der Aufnahme abgewiesener Migrant_innen (Ruanda) zufallen sollen. Mit der EU besteht bislang keine migrationspolitische Rahmenvereinbarung, was aber nicht bedeutet, dass europäische Grenz-, Polizei- und Justizbehörden nicht auf anderer Ebene eingebunden wären. Auch Deutschland ist Teil dieser Strukturen. Aber worin genau besteht der deutsche Anteil am britischen Grenregime? Wir möchten dieser Frage in einer lockeren Folge von Beiträgen nachgehen. Am Anfang steht die Calais Group, ein 2021 geschaffener Rahmen für bereits bestehende und wohl auch für künftige Vorhaben.
In den ersten Novembertagen des Jahres 2021 starben an der nordfranzösischen Küste mehrere Exilierte (siehe hier). Ihre Todesfälle ereigneten sich unabhängig voneinander teils auf See, teils an Land. In Dunkerque wurde einer dieser Fälle nun vor Gericht verhandelt. Angeklagt war ein kurdischer Mann aus dem Iran, dem fahrlässige Tötung, Beihilfe zur Überfahrt und Gefährdung anderer Personen vorgeworfen wurde. Der Prozess endete mit einem Schuldspruch, zeigte jedoch auch, dass der Angeklagte nicht zu den Profiteuren der gescheiterten Grenzpassage gehörte.
Am frühen Morgen des 14. Februar 2023 wurde ein Mann aus dem Irak in einem Camp bei Loon-Plage westlich von Dunkerque erschossen. Über das Opfer, die Tat und ihre Hintergründe ist bislang nur wenig bekannt. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass in dem als Jungle von Loon-Plage bekannten Camp Menschen durch Schusswaffen verletzt und auch getötet wurden. Neben den unfassbar elenden Lebensbedingungen sind zirkulierende Waffen, aber auch gewaltsam ausgetragene Konflikte und Machtdemonstrationen rund um das Geschäft mit Schleusungen, seit Langem ein Problem.
Am 27. Oktober 2020 ereignete sich die bis dahin schlimmste Havarie auf der Kanalroute. Damals ertranken im Seegebiet vor Loon-Plage bei Dunkerque sieben Menschen, unter ihnen eine fünfköpfige Familie mit ihren drei Kindern; der Leichnam des jüngsten Kindes, das 15 Monate alt war, wurde erst Monate später an der norwegischen Küste angespült (siehe hier, hier und hier). Am 20. Januar 2023 fand in Dunkerque nun der Strafprozess gegen drei Schleuser und einen Geflüchteten statt, der das Boot gesteuert haben soll. Das Gericht sprach Haftstrafen zwischen zwei und neun Jahren aus.
Die Bootspassagen nach Großbritannien sind nicht nur im realen Küsten- und Seegebiet ein Konfliktfeld, sondern auch im virtuellen Raum. Momentan investiert das britische Regierung in eine mehrsprachige Social Media-Kampagne, um potenzielle Migrant_innen abzuschrecken. Zugleich wurde bekannt, dass kommerzielle Schleuser_innen auf albanischsprachigen Sozial Media-Kanälen intensiv für Bootspassagen werben; zugleich nimmt der Anteil albanischer Exilierter an den Bootspassagieren zu. Konservative und rechtspopulistische Akteur_innen greifen das Phänomen auf, um die Bootspassagen mit organisierter Kriminalität gleichzusetzen und eine moral panic zu befeuern.