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Corona

Analyse zum Einfluss der Pandemie auf die Lage der Exilierten

Die britische Organisation Refugee Rights Europe analysiert seit 2015 regelmäßig die Situation der Geflüchteten, vor allem im französisch-britischen Grenzraum. Die nun erschienene Studie Facing Multiple Crisis beschreibt, wie die Corona-Pandemie die ohnehin problematische Versorgungs- und Menschenrechtslage in Calais weiter verschärft hat.

Die von Eleanor Paton und Camille Boittiaux verfasste Untersuchung beruhrt vor allem auf Material der Calaiser Initiative Human Rights Observers, die (auch während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020) täglich die Situation on the ground beobachtet und dokumentiert hat (siehe hier, hier, hier und hier). Erstmals wird dieses empirische Material nun zusammenfassend analysiert.

Wir veröffentlichen im Folgenden eine Übersetzung der wesentlichen Befunde und der daraus abgeleiteten Forderungen. Vorab sei angemerkt, dass kurz vor der Veröffentlichung dieses Berichts auch die Défenseure des droits, die Ombudsfrau der Französischen Republik für die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte, die Verletzung fundamentaler Rechte in Calais angeprangert hatte (siehe hier). Auch sie hatte sich u.a. auf die dokumentarische Arbeit der HRO gestützt.

Zusammenfassung und Forderungen:

Flüchtlinge und Displaced people sind in Nordfrankreich mit einer multiplen Krise konfrontiert. Seit vielen Jahren kämpfen Männer, Frauen und Kinder in den informellen Ansiedlungen von Calais und Grande-Synthe um ihr Überleben.

Ihr tägliches Leben ist von Räumungen, Polizeigewalt und der Verletzung fundamentaler Rechte geprägt, mit ungenügendem und zeitweise unterbrochenem Zugang zu Nahrung, Unterkunft, Wasser, Informationen usw. Während diese Verletzungen andauerten, verstärkte die Covid 19-Pandemie die Vulnerabilität dieser Gruppe und ihren dringenden Bedarf an Schutz.

Während der französische Staat einige begrenzte Maßnahmen zum Schutz der Displaced people bekanntgab, zeigt unsere Recherche, dass sich in der Behandlung dieser Gruppe durch die Behörden wenig änderte und diskriminierende Praktiken weiterhin eingesetzt wurden. Unsere Analyse zeigt, dass zwischen April und Juni 2020 in den Camps von Calais und Grande-Synthe:

  • Räumungen informeller Lebensorte weitergingen, wobei insgesamt 308 Räumungen beobachtet wurden;
  • Displaced people und Menschenrechtsbeobachter_innen wiederholt festgenommen wurden, wobei 51 Festnahmen beobachtet wurden;
  • die Paxis der Sicherheitskräfte zur Beschlagnahme persönlicher Sachen weiterhin stattfand;
  • die Covid 19-Unterbringungsoperationen im gesamten Zeitraum ungenügend waren, während viele Personen eine sichere Unterkunft benötigten.

Währddessen sind nur wenige Maßnahmen in Bezug auf Wasser, Sanitäranlagen und Hygiene umgesetzt worden, und die Schikane der Menschenrechtsbeobachter_innen durch Beamte der Sicherheitskräfte hielt an.

Es ist notwendig, dass der französische Staat seinen Kurs ändert und unverzüglich den Schutz der Displaced people während der Covid 19-Pandemie und darüber hinaus gewährleistet. Insbesondere plädieren wir für:

  • Ein unverzügliches Ende der Räumungen der Camps und Ansiedlungen sowie die Priorisierung des Gesundheits- und Sanitätsmanagements für diese Gebiete.
  • Eine Garantie des Zugangs zu Rechten (Nahrungsversorgung, Zugang zu Sanitäreinrichtungen, sauberes Trinkwasser usw.).
  • Die Bereitstellung klarer und zugänglicher Informationen für die Displaced people über die Covid 19-Pandemie, die Politik der Regierung und die Gesundheitsmaßnahmen.
  • Die Bereitstellung ausreichender, voraussetzungsloser, geeigneter und nachhaltiger Unterbringungsplätze für Displaced people in Nordfrankreich, die alle fundamentalen Erfordernisse (einschließlich Zugang zu Unterkunft, Trinkwasser, Hygieneeinrichtungen, medizinischer und psychologischer Hilfe, zuverlässiger Rechtsberatung und sozialer Unterstützung) erfüllen müssen. Zusätzliche Mittel müssen bereitgestellt werden, um die Displaced people in diesen Einrichtungen zu informieren, ihnen bei der Orientierung zu helfen, sie willkommen zu heißen und ihnen eine würdige Unterstützung zu geben.
  • Ein Ende der Kultur der Schikane und des Machtmissbrauchs durch Beamte der Sicherheitskräfte unmittelbar gegen Displaced people und Menschenrechtsgruppen.
  • Die Implementierung effektiver und geeigneter Mittel zum Schutz der in Nordfrankreich anwesenden unbegleiteten Minderjährigen in Übereinstimmung mit internationalen Vereinbarungen und geltendem Recht.