Als vor einigen Tagen publik wurde, dass die britische Border Force für illegale Pushbacks im Ärmelkanal trainiert (siehe hier), gaben die Behörden keine weiteren Informationen über den Charakter dieser so genannten turn around-Taktik heraus. Die zivilgesellschaftliche Initiative Channel Rescue hat am heutigen 13. September erste Foto- und Videoaufnahmen veröffentlicht, die ein solches Training zeigen. Wie die Gruppe mitteilt, übte die Grenzschutzeinheit dabei das Rammen von Schlauchbooten mithilfe von Jet-Skis.
„We’re currently witnessing what looks like pushback drills by Border Force jet skis in the Channel. We’re not 100% sure but two jet skis appear to be doing circling manoeuvres around dinghies with Border Force vessels full of people looking on.“ Mit diesem Tweet machte Channel Rescue am frühen Nachmittag seine ersten Beobachtungen öffentlich. „A Jet Ski just bumped the rear of the dinghy and turned it around. We’re almost certain it’s a pushback practice,“ schrieb die Gruppe eine Stunde später.
Weitere Details publizierte am gleichen Tag die Zeitung Independent nach einem Interview mit Steven, dem Koordinator von Channel Rescue [Nachname wegen rechter Drohungen nicht genannt]. Demnach waren an der Übung, die von Dover aus beobachtet werden konnte, zwei große Schiffe der Border Force, zwei kleinere Boote, drei Jet Skis und zwei Dinghies, wie sie von Geflüchteten genutzt werden, beteiligt. „Sie setzten Border Force-Angehörige in die Dinghies, und diese saßen auf den Schläuchen, um nachzuahmen, wie die Leute bei der Überfahrt sitzen würden,“ so Steven gegenüber Independent. „Wir sahen, wie die Jet-Skis an beiden Seiten und am Heck des Bootes ansetzten und dann mit dem Boot kollidierten, um es tatsächlich zu drehen. Es sah gefährlich aus.“
Hinzu komme, dass sich das Verhalten der Grenzbeamte_innen an Bord der Übungsboote nicht auf die Realität übertragen lasse. Denn im Gegensatz zu den Border Force-Bediensteten wissen diese nicht, „wer diese Leute sind, die ihren Boote dicht folgen und sie dann mit gepanzerten Jet-Skis rammen. Das ist ein unglaublich aggressiver und gewalttätiger Akt. […] Sie gefährden rücksichtslos das Leben derjenigen, die die Grenze überqueren.“
Das britische Innenministerium hat sich bislang nur knapp zu den Beobachtungen geäußert: Wie der BBC-Journalist Simon Jones mitteilt, weigert sich das Ministerium zu sagen, „ob es heute im Ärmelkanal Übungen zur Zurückweisung von Booten mit Migranten durchgeführt hat“. Routinemäßig würden „maritime Operationen im Zusammenhang mit der Grenzsicherung“ nicht kommentiert, da sie „kriminellen Gruppen einen Vorteil verschaffen könnten.“
Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das eingeübte Rammen der Boote (oder welche Taktik auch immer) tatsächlich praktiziert werden wird. In diesem Fall müsste Großbritannien ohne die Kooperation der französischen Behörden handeln, also die Pushbacks um jeden Preis durchziehen, was die Situation auch außenpolitisch ungemein eskalieren würde. Oder die Übungen wären als ein Grenztheater zu deuten: als der Versuch, das in Großbritannien gerade laufende Gesetzgebungsverfahren für ein restriktives Migrationsrecht durch die demonstrative Bereitschaft zu ebenso brachialen wie illegalen Pushbacks zu flankieren. Die Geflüchteten dürfte dies in beiden Fällen nicht daran hindern, den Weg über den Kanal weiter zu versuchen. Aber er könnte riskanter werden.