In Loon-Plage kommt es in unregelmäßigen Abständen zur Räumung des Jungle, zuletzt am 8. August 2023. Mehrfach verschob sich damit der Standort des Camps, allerdings innerhalb eines überschaubaren Gebiets. Eine unverzichtbare Anlaufstelle für die zeitweise mehr als tausend Bewohner_innen ist die distribution area, auf der mehrere unabhängige Kollektive materielle und medizinische Hilfe bereitstellen. Am 13. September wurde dieser Platz unbrauchbar gemacht: Ein Bagger zerwühlte das Gelände großflächig. Doch so brachial das Vorgehen war, so planlos erscheint es zugleich.
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Bericht einer irakischen Ortskraft der US-Armee aus dem Jungle von Dunkerque

Der folgende Erfahrungsbericht stammt von einem Mann aus dem kurdischen Teil des Irak, der als Ortskraft der amerikanischen Armee tätig gewesen war. Er beschreibt die Umstände, die ihn zur Flucht zwangen, seinen Weg nach Nordfrankreich und seine Erfahrungen im Jungle von Loon-Plage bei Dunkerque. Genau dort wurde der Bericht im Frühjahr 2023 aufgezeichnet. Wir übernehmen ihn mit freundlicher Genehmigung des Aachener Zeitungskollektivs Tacheles, das ihn im Juli 2023 erstmals veröffentlichte.
Eine Wende im Kampf um Trinkwasser

Nach einem Rechtsstreit in der Normandie besteht auch in Calais und Dunkerque die Hoffnung, einen menschenwürdigen Zugang zu Wasser juristisch durchsetzen zu können: Der Staatsrat (Conseil d’État) verpflichtete die dortigen Behörden durch seinen Beschluss vom 3. Juli 2023, den Bewohner_innen eines Camps Trinkwasser und Waschmöglichkeiten bereitzustellen. Die Entscheidung dürfte auf die nordfranzösische Kanalküste übertragbar sein. Seit Jahren verknappen die Behörden hier den Zugang zu Trinkwasser und Waschgelegenheiten, um den Lebensalltag der Exilierten abschreckend zu gestalten – und brechen damit die nun vom Staatsrat bestätigten Prinzipien.
Ein Interview mit No Border Medics über die Arbeit in den Camps bei Dunkerque

Seit Herbst 2022 ist No Border Medics in Nordfrankreich präsent. Die neu gegründete NGO mit Sitz in Hamburg arbeitet vor allem in den Camps von Grande-Synthe, Loon-Plage und Mardyck bei Dunkerque. Dabei stützt sie sich auf ein Kernteam mit Berufen im Gesundheitsbereich und auf internationale Volunteers. Wir sprachen Mitte Juni per WhatsApp mit der Koordinatorin für die Arbeit in Dunkerque, Hana Anane, über medizinisches Arbeiten inmitten des Grenzregimes.

Im Dezember 2022 verlagerte sich das größte Camp von Exilierten im Raum Dunkerque, der Jungle von Loon-Plage, auf ein neues Areal. Das neue Camp wurde im Mai 2023 geräumt. Daraufhin besetzten die Exilierten einen sogenannten Empfangsplatz für fahrendes Volk, eine in Frankreich bestehende Infrastrutkur vor allem für Sinti*zze und Roma*nja. Wie lange das Camp dort bleiben wird, ist ungewiss. Hier ein Überblick über die Entwicklung des letzten halben Jahres und über die massiven Räumungen im Mai.
Räumung des Camps Old Lidl (2)
Nach der Räumung des Camps Old Lidl am 1. Juni 2023 erklärte die Präfektur, knapp 300 Bewohner_innen hätten sich freiwillig in teils weit entfernte Aufnahmezentren bringen lassen. Die Darstellung der Behörde erweckt den Eindruck, man habe den Exilierten lediglich „Vorschläge“ gemacht, die bereitwillig angenommen worden seien. Als die NGO Human Rights Observers (HRO) widersprach, beharrte die Behörde auf der behaupteten Freiwilligkeit. Die Menschenrechtsbeobachter_innen legten nun Video- und Fotomaterial vor, das belegt: Der Transport in die Aufnahmezentren erfolgte nicht freiwillig. Vielmehr stiegen die Exilierten „unter strenger Überwachung durch die Ordnungskräfte“ und angesichts einer möglichen Festnahme durch die anwesende Grenzpolizei in die Busse.
Räumung des Camps Old Lidl

Mehrere Jahre lang siedelten hunderte Exilierte auf einem Gelände an der Stadtgrenze von Calais, das offiziell unter dem Namen La Turquerie und inoffiziell als Old Lidl bekannt ist. Zuletzt war es der größte informelle Lebensort in Calais und Umgebung. Die meisten Bewohner_innen waren sudanischer Herkunft. Old Lidl war immer wieder Ziel routinemäßiger (Teil-)Räumungen und Beschlagnahmungen; Teile des Geländes wurden unbenutzbar gemacht und humanitäre Arbeit gezielt behindert. Seit 2022 wird das Areal für die Erweiterung des benachbarten Gewerbegebiets Transmarck vorbereitet und seit Jahresbeginn ein Logistikzentrum errichtet. Am 1. Juni 2023 wurde das Camp vollständig geräumt – diesmal mit dem Ziel, es endgültig aufzulösen. Die Räumung geschah einen Tag, nachdem ein Bewohner in Transmarck durch einen Laster tödlich verletzt worden war (siehe hier).
Um Geflüchtete aus der Innenstadt von Calais zu verdrängen, ließ die Stadtverwaltung im vergangenen Jahr rund 600 schwere Steine aufschütten und in einer bestimmten Formation anordnen. So entstand eine bizarre Steinlandschaft beiderseits der historischen Quais, eine radikale antimigrantische Zwecklandschaft im Herzen der Stadt (siehe hier und hier). Am 1. März 2023 wurde die Anlage weiter ausgebaut. Ihr Zweck besteht darin, das Aufstellen von Zelten unmöglich zu machen und zivilgesellschaftliche Versorgungsinfrastrukturen zu blockieren.
Ein Camp im Chlornebel
Über ein Sicherheitsdfizit im Zentrum der sekuritisierten Grenze

Am späten Nachmittag des 20. Februar 2023 zog ein Nebel über das Gelände des Jungle von Loon-Plage und löste bei zahlreichen Geflüchteten gesundheitliche Beschwerden aus. Der Nebel war bei einem Industrieanfall freigesetzt gesetzt worden und erwies sich im Nachhinein nicht als lebensbedrohlich. Aber was wäre gewesen, wenn es sich um ein aggressiveres Gemisch gehandelt hätte? In dem Camp fehlten grundlegende Voraussetzungen für eine angemessene und schnelle (Selbst-) Hilfe, und zwar infolge der antimigrantischen Routinen der Behörden. Der Zwischenfall in Loon-Plage wirft daher ein Schlaglicht auf ein sonst wenig beachtetes Risiko dieser hochgradig präkarisierten Lebensorte.
Am frühen Morgen des 14. Februar 2023 wurde ein Mann aus dem Irak in einem Camp bei Loon-Plage westlich von Dunkerque erschossen. Über das Opfer, die Tat und ihre Hintergründe ist bislang nur wenig bekannt. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass in dem als Jungle von Loon-Plage bekannten Camp Menschen durch Schusswaffen verletzt und auch getötet wurden. Neben den unfassbar elenden Lebensbedingungen sind zirkulierende Waffen, aber auch gewaltsam ausgetragene Konflikte und Machtdemonstrationen rund um das Geschäft mit Schleusungen, seit Langem ein Problem.