Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

„Du verdienst nicht, was du durchleben musst“

Ein Interview mit No Border Medics über die Arbeit in den Camps bei Dunkerque

No Border Medics in Loon-Plage, Winter 2022/23. (Foto: Enzo Leclerq / Instagram @enzorhino)

Seit Herbst 2022 ist No Border Medics in Nordfrankreich präsent. Die neu gegründete NGO mit Sitz in Hamburg arbeitet vor allem in den Camps von Grande-Synthe, Loon-Plage und Mardyck bei Dunkerque. Dabei stützt sie sich auf ein Kernteam mit Berufen im Gesundheitsbereich und auf internationale Volunteers. Wir sprachen Mitte Juni per WhatsApp mit der Koordinatorin für die Arbeit in Dunkerque, Hana Anane, über medizinisches Arbeiten inmitten des Grenzregimes.

Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Camps und Räumungen in Loon-Plage

Nach der Räumung des Camps von Loon-Plage, Mai 2023. (Foto: Th. Müller)

Im Dezember 2022 verlagerte sich das größte Camp von Exilierten im Raum Dunkerque, der Jungle von Loon-Plage, auf ein neues Areal. Das neue Camp wurde im Mai 2023 geräumt. Daraufhin besetzten die Exilierten einen sogenannten Empfangsplatz für fahrendes Volk, eine in Frankreich bestehende Infrastrutkur vor allem für Sinti*zze und Roma*nja. Wie lange das Camp dort bleiben wird, ist ungewiss. Hier ein Überblick über die Entwicklung des letzten halben Jahres und über die massiven Räumungen im Mai.

Kategorien
Calais

Räumung des Camps Old Lidl (2)

Nach der Räumung des Camps Old Lidl am 1. Juni 2023 erklärte die Präfektur, knapp 300 Bewohner_innen hätten sich freiwillig in teils weit entfernte Aufnahmezentren bringen lassen. Die Darstellung der Behörde erweckt den Eindruck, man habe den Exilierten lediglich „Vorschläge“ gemacht, die bereitwillig angenommen worden seien. Als die NGO Human Rights Observers (HRO) widersprach, beharrte die Behörde auf der behaupteten Freiwilligkeit. Die Menschenrechtsbeobachter_innen legten nun Video- und Fotomaterial vor, das belegt: Der Transport in die Aufnahmezentren erfolgte nicht freiwillig. Vielmehr stiegen die Exilierten „unter strenger Überwachung durch die Ordnungskräfte“ und angesichts einer möglichen Festnahme durch die anwesende Grenzpolizei in die Busse.

Kategorien
Calais

Räumung des Camps Old Lidl

Das Camp Old Lidl wenige Wochen vor der Räumung, Mai 2023. (Foto: Th. Müller)

Mehrere Jahre lang siedelten hunderte Exilierte auf einem Gelände an der Stadtgrenze von Calais, das offiziell unter dem Namen La Turquerie und inoffiziell als Old Lidl bekannt ist. Zuletzt war es der größte informelle Lebensort in Calais und Umgebung. Die meisten Bewohner_innen waren sudanischer Herkunft. Old Lidl war immer wieder Ziel routinemäßiger (Teil-)Räumungen und Beschlagnahmungen; Teile des Geländes wurden unbenutzbar gemacht und humanitäre Arbeit gezielt behindert. Seit 2022 wird das Areal für die Erweiterung des benachbarten Gewerbegebiets Transmarck vorbereitet und seit Jahresbeginn ein Logistikzentrum errichtet. Am 1. Juni 2023 wurde das Camp vollständig geräumt – diesmal mit dem Ziel, es endgültig aufzulösen. Die Räumung geschah einen Tag, nachdem ein Bewohner in Transmarck durch einen Laster tödlich verletzt worden war (siehe hier).

Kategorien
Calais

Antimigrantische Zwecklandschaft wird ausgebaut

Versperrung einer von Exilierten genutzten Fläche in Calais, 1. März 2023 (Quelle: Utopia 56 / Twitter)

Um Geflüchtete aus der Innenstadt von Calais zu verdrängen, ließ die Stadtverwaltung im vergangenen Jahr rund 600 schwere Steine aufschütten und in einer bestimmten Formation anordnen. So entstand eine bizarre Steinlandschaft beiderseits der historischen Quais, eine radikale antimigrantische Zwecklandschaft im Herzen der Stadt (siehe hier und hier). Am 1. März 2023 wurde die Anlage weiter ausgebaut. Ihr Zweck besteht darin, das Aufstellen von Zelten unmöglich zu machen und zivilgesellschaftliche Versorgungsinfrastrukturen zu blockieren.

Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Ein Camp im Chlornebel

Über ein Sicherheitsdfizit im Zentrum der sekuritisierten Grenze

Industrieanlagen in Loon-Plage, März 2022. (Foto: Th. Müller)

Am späten Nachmittag des 20. Februar 2023 zog ein Nebel über das Gelände des Jungle von Loon-Plage und löste bei zahlreichen Geflüchteten gesundheitliche Beschwerden aus. Der Nebel war bei einem Industrieanfall freigesetzt gesetzt worden und erwies sich im Nachhinein nicht als lebensbedrohlich. Aber was wäre gewesen, wenn es sich um ein aggressiveres Gemisch gehandelt hätte? In dem Camp fehlten grundlegende Voraussetzungen für eine angemessene und schnelle (Selbst-) Hilfe, und zwar infolge der antimigrantischen Routinen der Behörden. Der Zwischenfall in Loon-Plage wirft daher ein Schlaglicht auf ein sonst wenig beachtetes Risiko dieser hochgradig präkarisierten Lebensorte.

Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Tödlicher Schuss im Jungle von Loon-Plage

Am frühen Morgen des 14. Februar 2023 wurde ein Mann aus dem Irak in einem Camp bei Loon-Plage westlich von Dunkerque erschossen. Über das Opfer, die Tat und ihre Hintergründe ist bislang nur wenig bekannt. Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass in dem als Jungle von Loon-Plage bekannten Camp Menschen durch Schusswaffen verletzt und auch getötet wurden. Neben den unfassbar elenden Lebensbedingungen sind zirkulierende Waffen, aber auch gewaltsam ausgetragene Konflikte und Machtdemonstrationen rund um das Geschäft mit Schleusungen, seit Langem ein Problem.

Kategorien
Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Wie eine Leistungsschau repressiver Grenzpolitik

Human Rights Observers dokumentieren einen Höchstwert von über 1.700 Räumungen im Jahr 2022

Verortung von Fällen und Opfern von Polizeigewalt in Frankreich seit 2018. (Screenshot: Violences Policières)

Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Räumungen informeller Lebensorte von Geflüchteten auf einen Höchstwert. Es waren über 1.700 Fälle, davon 96,5 % in Calais und die übrigen in der Umgebung von Dunkerque. Auch die Zahl der beschlagnahmten oder zerstörten Subsistenzgüter und persönlichen Sachen bleibt hoch. Die französische Grenzregion erweist sich damit einmal mehr ein Raum, in dem rechtstaatliche Normen im Vollzug einer restriktiven grenzpolitischen Agenda gebeugt werden. Dies verdeutlicht auch ein Vergleich der nordfranzösischen Grenzregion mit dem übrigen Frankreich.

Kategorien
Calais

Eine feindlichere Umwelt

Antimigrantische Raumpolitik in Calais

Calaiser Steinlandschaft mit Blick auf das Rathaus, November 2022. (Foto: Th. Müller)

Hunderte Exilierte leben obdachlos in der Innenstadt von Calais. Um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, Zelte aufzustellen, ließ die Stadtverwaltung im Spätsommer 2022 weite Flächen mit Steinen bedecken. Der Turnus der routinemäßigen Räumungen wurde für diesen Teil der Stadt von zweitäglich auf täglich beschleunigt, sodass auch die Zahl der Räumungen im Jahr 2022 explodierte. Mit den Steinenflächen ist nun im Zentrum der Stadt eine Architektur der Unwirtlichkeit sichtbar geworden, die bislang vor allem in den Randbezirken angewandt wird. Die Calaiser Steinparks lassen sich zugleich als Teil einer zynischen Stadterneuerung deuten, die einerseits eine radikal antimigrantische Agenda umsetzt, andererseits aber die Migration kapitalisiert und mit einer Neuerfindung Calais‘ als touristische Destination einhergeht. Vor diesem Hintergrund blicken wir zurück auf einen Trend, der im Jahr 2022 besonders sichtbar wurde.

Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Loon-Plage: Räumung und Beton

Betonsperre nach der Räumung in Loon-Plage, Dezember 2022. (Foto: Human Rights Observers)

Zum wiederholten Mal wurde am 7. Dezember 2022 der Jungle von Loon-Plage geräumt. Dabei wurden nicht nur Zelte und persönliches Eigentum der Bewohner_innen zerstört, sondern auch weitere Betonsperren errichtet. Diese machen es zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich, im Fall einer Wiederbesiedlung des Geländes Trinkwasserbehälter zu unterhalten. Dabei stellt der Zugang zu Trinkwasser ein elementares Menschenrecht dar, und nicht nur dieses Recht wird in Loon-Plage verletzt.