Die in Nordfrankreich aktive NGO Utopia 56 hat über die Tageszeitung Le Monde mehrere strafrechtliche Vorermittlungen publik gemacht. Betroffen sind drei Freiwillige bzw. Bedienstete, die Vorladungen erhalten haben. Die Ermittlungen beziehen sich auf das Engagement von Utopia 56 an der französisch-britischen Grenze und gipfeln in dem Vorwurf, in Notsituationen falsche Alarme ausgelöst zu haben. Utopia 56 weist dies entschieden zurück und will durch das Öffentlichmachen der Ermittlungen für Transparenz sorgen.
Schlagwort: Utopia 56
Zwei Tage nach der schweren Havarie vor Kap Gris-Nez am 3. September 2024 sind weitere Umstände bekannt geworden. Es hat sich bestätigt, dass zwölf Menschen starben, darunter sechs Minderjährige; zwei weitere Menschen sind auf See verschollen und dürften kaum überlebt haben. Inzwischen wirft ein Medienbericht kritische Fragen hinsichtlich der Rettungseinsatzes auf, während die übliche politische Instrumentalisierung der Katastrophe einsetzt – und ablenkt von den strukturellen und politischen Ursachen der Tode.
[Mit einem Update] Utopia 56 berichtet über eine extreme Erfahrung mit Polizeigewalt an der nordfranzösischen Küste. Der Übergriff geschah während einer maraude, einer nächtlichen Suchfahrt nach hilfesuchenden Geflüchteten bei Dunkerque. Dabei habe ein Polizist ein Team von Utopia 56 durch Schüsse mit Platzpatronen eingeschüchtet.
An interview with Utopia 56 about the possible takeover by the extreme right and its consequences for associations and exiles
On the day after the first round of the parliamentary elections, we ask Utopia 56 about the shift to the right in France and the consequences of a possible takeover by the far-right Rassemblement National. Célestin Pichaud from Utopia 56 in Grande-Synthe explains what impact the scenario is already having and what an RN government could mean for exiled people and their supporters.
Deutsche Version weiter unten.
Ende Mai veröffentlichten französische NGOs in der Libération die gemeinsame Erklärung A la frontière franco-britannique, la mort n’est pas une fatalité (An der britisch-französischen Grenze ist der Tod kein unabwendbares Schicksal). Damit wollen sie den Blick auf die Zunahme von Todesfällen in vergangenen Halbjahr lenken, den sie als Folge migrationspolitischer Fehlentscheidungen deuten. Zugleich unterstützten sie einen Vorstoß französischer Abgeordneter nach einer parlamentarischen Untersuchung zum Vorgehen der Ordnungskräfte und zur Lage der Menschenrechte im französisch-britischen Grenzraum. Lokale Initiativen legen währenddessen weitere Belege für ein gewaltsames Vorgehen gegen ablegende Schlauchboote vor.
Protokoll einer Recherche in Nordfrankreich
Mehrmals berichteten wir an dieser Stelle über gewaltsames Vorgehen gegen ablegende Boote an nordfranzösischen Stränden. Zudem registrierten wir, dass es bei Ablegemanövern wiederholt zu Todesfällen kam. Mitte April sprachen wir in Calais und Dunkerque mit mehreren NGOs über diese Entwicklung. Wir wollten verstehen, ob solche Fälle lediglich häufiger publik werden, oder ob sie eine Tendenz zur Wahl brutalerer Methoden anzeigen. Hier unser Protokoll.
Die Havarie von Wimereux im Kontext der Grenzpassagen um die Jahreswende 2023/24
Beim Ablegen eines Schlauchbootes bei Wimereux starben am frühen Morgen des 14. Januar 2024 fünf Geflüchtete (siehe hier). Vier von ihnen, Abadeh (14 Jahre), Mohamed (16 Jahre), Ayham (24 Jahre) und sein Bruder Aysar (26 Jahre), konnten inzwischen identifiziert werden; sie alle sind syrischer Nationalität. Ihr Tod fällt mit dem Wiederbeginn der Bootspassagen nach einer fast einmonatigen Unterbrechung zusammen. Doch auch in dieser witterungsbedingten Pause kam es zu lebensbedrohlichen Situationen, und zwar an Bord von Kühlfahrzeugen. Dies zeigt einmal mehr, dass hochriskante Grenzpassagen nicht nur per Schlauchboot stattfinden und dass sie einen sehr viel weiteren geographischen Raum betreffen als den Küstenabschnitt von Boulogne-sur-Mer, Calais und Dunkerque.
Zuspitzungen am Strand
[Mit einem Update] Berichte französischer Medien und zivilgesellschaftlicher Organisationen deuten darauf hin, dass die Situation an den nordfranzösischen Ablegestränden der Schlauchboote im Frühjahr 2023 gewalttätiger geworden ist. Da sich das Geschehen jedoch größtenteils bei Nacht und außerhalb der Öffentlichkeit abspielt, liegen nur fragmentarische Informationen vor. So wurden mehrere Fälle bekannt, bei denen Einsatzkräfte Boote nicht mehr nur unbrauchbar machten, sondern zudem in Brand setzten (siehe hier). Ein aktueller Fall gibt weitere Einblicke in dieses für Außenstehende unsichtbare Feld der Grenzpolitik. Er ist auch ein Indiz dafür, dass die Gendarmerie den Konflikt um das Ablegen der Boote zum Anlass nimmt, ihre eigene Stärke zu demonstrieren – und die Situation damit wohl nur noch weiter zuspitzt.
Gewalt gegen ablegende Boote
Einsatzkräfte gehen an der nordfranzösischen Küste weiterhin gewaltsam gegen ablegende Boote vor. Dabei setzten sie in den vergangenen Monaten auch Boote in Brand. Offizielle Zahlen belegen zudem, dass der größte Teil der schiffbrüchigen Migrant_innen in Nordfrankreich keine angemessene Versorgung erhält.
Wegdriften von der Rettung
Neue Recherchen dokumentieren eine Routine des Nichtrettung an der französisch-britischen Seegrenze
Recherchen britischer Journalist_innen belegen, dass an der britisch-französischen Seegrenze wiederholt die Rettung von Schlauchbooten unterlassen und verzögert wurde. Offenbar handelt es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um eine Drift back-Praxis, die darauf setzt, dass Schlauchboote durch Wind und Strömung zurück in französische Gewässer getrieben werden – eine Praxis indirekter Pushbacks. Die Recherchen erhärten auch den Verdacht, dass die bislang schwerste Katastrophe auf der Kanalroute, bei der am 24. November 2021 mindestens 30 Menschen starben, mit diesen Routinen im Zusammenhang steht. Parallel veröffentlichte Recherchen der NGO Alarm Phone geben an einem aktuellen Fall detaillierte Einblicke in die Praxis des Zurückdriftenlassens und dokumentieren den schleichenden Wandel der britischen Küstenwache von der Seenotrettung hin zur Grenzsicherung.