Seit dem 22. November 2023 war Pierre Lascoux, ein Freiwilliger der zivilgesellschaftlichen Organisation Salam, im Hungerstreik (siehe hier). Seine Forderungen richteten sich auf die Verbesserung elementarer Bedingungen im Jungle von Loon-Plage. Am 1. Januar 2024, dem 41. Tag, wurde bekannt, dass er seinen Hungerstreik wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes beenden werde. Erreichen konnte er einen Teilerfolg.
Kategorie: Dunkerque & Grande-Synthe
Seit dem 22. November befindet sich ein freiwilliger Helfer der lokalen Organisation Salam im Hungerstreik. Pierre, so sein Name, protestiert gegen die Bedingungen, unter denen Geflüchtete im Raum Dunkerque leben. Was er einfordert, sind existenzielle Dinge wie Zugang zu Trinkwasser und die Einhaltung des sogenannten Winterfriedens, der Menschen in Frankreich während der kalten Jahreszeit vor Obdachlosigkeit schützen soll.
Die wichtigsten Camps im nordfranzösischen Küstengebiet wurden am 30. November 2023 zeitgleich geräumt und über 1200 Menschen auf Aufnahmezentren in ganz Frankreich verteilt. Es war eine der größten Räumungen seit 2016 – und die erste simultan in Dunkerque und Calais durchgeführte. Wenige Tage vor der Räumung hatten wir Gelegenheit, uns einen Eindruck von der Situation in den betroffenen Camps zu verschaffen – es war eine Reise in ein Krisengebiet.
Am 2. November 2023 erreichte das Orkantief Ciaran die Ärmelkanalregion. Der Sturm stellte für die Camps bei Calais und Dunkerque eine Bedrohung dar. An beiden Orten stellten die Behörden Notunterkünfte bereit. Doch lokale Initiativen und Medien weisen darauf hin, dass sie nur für einen Teil der Camp-Bewohner_innen ausreichten und von vielen nicht angenommen wurden. Hunderte Geflüchtete waren daher dem Sturm ausgesetzt.
Im Rahmen eines britisch-französischen Gipfels im März 2023 kündigte Premierminister Rishi Sunak an, dass seine Regierung den Bau einer neuen Abschiebehaftanstalt im nordfranzösischen Grenzraum finanzieren werde (siehe hier). Ein halbes Jahr später legte der französische Innenminister nun Pläne zur Errichtung neuer Centres de Rétention Administrative (CRA) bis zum Jahr 2027 vor. Diese sogenannten Verwaltungshaftzentren dienen vor allem dem Vollzug der Abschiebungshaft. Eines von ihnen soll bei Dunkerque entstehen. Zwar sind die Pläne noch vage, doch erste Projektdienstleistungen sind bereits öffentlich ausgeschrieben.
Nach der Räumung des Camps Old Lidl in Calais (siehe hier) führten die Behörden zwei weitere Räumungen durch. Beide galten dem Jungle in Loon-Plage bei Dunkerque – für viele Exilierte die letzte Station vor der Bootspassage nach Großbritannien. Innerhalb von weniger als zwei Wochen waren damit fast alle Geflüchtete, die in Nordfrankreich auf ihr Weiterkommen nach Großbritannien warten, von einer Räumung betroffen.
Wenige Tage nach dem Tod einer Eritreerin bei einer Bootspassage (siehe hier) starben zwei weitere Geflüchtete im nordfranzösischen Grenzraum. Beide Todesfälle ereigneten sich am 30. September 2023: In Calais wurde ein Mann von einem Zug erfasst und in Loon-Plage bei Dunkerque ertrank ein Mann in einem Kanal.
In Loon-Plage kommt es in unregelmäßigen Abständen zur Räumung des Jungle, zuletzt am 8. August 2023. Mehrfach verschob sich damit der Standort des Camps, allerdings innerhalb eines überschaubaren Gebiets. Eine unverzichtbare Anlaufstelle für die zeitweise mehr als tausend Bewohner_innen ist die distribution area, auf der mehrere unabhängige Kollektive materielle und medizinische Hilfe bereitstellen. Am 13. September wurde dieser Platz unbrauchbar gemacht: Ein Bagger zerwühlte das Gelände großflächig. Doch so brachial das Vorgehen war, so planlos erscheint es zugleich.
Erneut starb ein Geflüchteter in der Nähe von Dunkerque. Wie die Zeitung La voix du Nord berichtet, ist das Opfer „ein junger Migrant in den Zwanzigern“. Er starb am Abend des 14. September 2023 auf der Nationalstraße 225 in der Nähe von Bierne südlich von Dunkerque. Die Straße ist eine wichtige Verbindung von Lille zur Kanalküste. Offenbar wurde der junge Mann in der Nähe der Abfahrt Bierne von einem Auto angefahren. Die gegen 22.10 Uhr herbeigerufene Feuerwehr leitete Notfallmaßnahmen ein, konnte sein Leben jedoch nicht retten. Über das genaue Geschehen und die Identität des jungen Mannes liegen noch keine Angaben vor. [Update: Später wurde bekannt, dass er ein sudanischer Staatsangehöriger namens Jallal war, der in einem Camp von Calais lebte.] Unterdessen wurde ein weiterer Todesfall bekannt, der sich bereits im August in Lille ereignete.
Bericht einer irakischen Ortskraft der US-Armee aus dem Jungle von Dunkerque
Der folgende Erfahrungsbericht stammt von einem Mann aus dem kurdischen Teil des Irak, der als Ortskraft der amerikanischen Armee tätig gewesen war. Er beschreibt die Umstände, die ihn zur Flucht zwangen, seinen Weg nach Nordfrankreich und seine Erfahrungen im Jungle von Loon-Plage bei Dunkerque. Genau dort wurde der Bericht im Frühjahr 2023 aufgezeichnet. Wir übernehmen ihn mit freundlicher Genehmigung des Aachener Zeitungskollektivs Tacheles, das ihn im Juli 2023 erstmals veröffentlichte.