Möglicherweise wird es die von Großbritannien gewünschte Änderung der Einsatzdoktrin nicht geben, die ein aktives Abfangen der Schlauchboote in französischen Küstengewässern legalisieren solle. Ein solche Änderung hatte sich im Umfeld des britisch-französischen Gipfels im Juli 2025 konkretisiert (siehe hier), scheint jedoch von Frankreich nicht mehr vorangetrieben zu werden. Dennoch steht die Befürchtung im Raum, eine etablierte und mitunter tödliche Einsatzpraxis im französischen Überseegebiet Mayotte könnte zum Vorbild für den Ärmelkanal werden.
Autor: tm
Teil 1: Trump, die Tories und ihr Borders Plan

Mit der Massenkundgebung Unite the Kingdom am 13. September wurde der Vorbildcharakter der US-amerikanischen MAGA-Bewegung für radikalisierte Konservative und extreme Rechte in Großbritannien offensichtlich – ebenso ihr Wille zur Erlangung der Macht (siehe hier). Wir beobachten eine choreografierte Agitation, in der die small boats zum Symbol des Untergangs erklärt und zum Feind in einem endzeitlichen Kampf stilisiert werden. Vor dem Hintergrund treten konvervative und rechtsextreme Akteure mit Konzepten für Massendeportationen nach dem Vorbild der Trump-Administration an die Öffentlichkeit, die den Rahmen einer menschenrechtlich gebundenen und rechtstaatlich verfassten Ordnung aufsprengen: Blaupausen für mögliche Staatsverbrechen, deren Bedeutung weit über die Migration hinausweist.
Wir werden uns diesen Konzepten in einer kleinen Serie widmen, deren erste Folge die migrationspolitische Apokalyptik Donald Trumps und die Radikalisierung der Tories hin zum Borders Plan von Oktober 2025 umreisst.
Pushback im Frachtschiff
Nach Angaben von NGOs kam es in der Nacht vom 11. auf den 12. Okober 2025 in der Nordsee zu einem Pushback: Zwei Geflüchtete aus Syrien versteckten sich im Maschinenraum des unter liberianischer Flagge fahrenden Frachtschiffs CM Coast. Weil sie Gas eingeatmet hatten und Atemnot verspürten, baten sie um Hilfe, wurden jedoch von der Besatzung gefangen gesetzt und nach Calais gebracht. Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung befanden sie sich bereits in britischen Gewässern.
UKIP und Turning Point UK stellen einen Übergriff auf Geflüchtete in Gravelines online

Nach Provokationen im Juni (siehe hier) haben britische Rechtsextreme nun einen nächtlichen Übergriff auf Geflüchtete im nordfranzösischen Gravelines verübt. Im Rahmen einer aggressiven Kampagne für Massendeportationen stellten sie nun Videoaufnahmen der Tat online. Dahinter steht die bereits bekannte Melange aus britischem Rechtsextremismus und einer bösartigen Spielart der christlichen Rechten, orientiert an der US-amerikanischen MAGA-Bewegung.
Ein weiterer Toter am Strand
Kurz nach dem Tod dreier Geflüchteter an der nordfranzösischen Kanalküste (siehe hier) wurde ein weiterer Todesfall bekannt. Zunächst war berichtet worden, bei der südlich von Boulogne-sur-Mer aufgefundenen Leiche handle es sich um ein Kind, doch im Laufe des Tages korrigierte La Voix du Nord die Berichterstattung.
[Updated, 28.09.2025] In verschiedenen Abschnitten der nordfranzösischen Küste kamen in der Nacht zum 27. September drei Geflüchtete zu Tode. Südlich von Boulogne-sur-Mer starben zwei Frauen bei einer missglückten Überfahrt und aus einem Kanal zwischen Calais und Dunkerque wurde die Leiche eines Mannes geborgen. Am Beginn des Herbstes sehen wir damit einen ähnlichen Anstieg von Todesfällen wie in den Vorjahren. Gleichzeitig bestätigt sich eine Ausweitung des Raumes, von dem aus Boote zur Überfahrt aufbrechen, in Richtung Normandie.
Mahnmal aus Schuhen

Am Strand von Calais entstand am 20. September 2025 ein temporäres Mahnmal: 518 Paar Schuhe, im Sand angeordnet, erinnerten an die mindestens 518 Menschen, die seit 1999 im Zusammenhang mit der Migration auf der Kanalroute ihr Leben verloren haben.
Am 19. September wurde in einem Hafenbecken von Dunkerque die Leiche Mannes entdeckt. Vermutlich handelt es sich um ein weiteres Todesopfer im Zusammenhang mit der undokumentierten Migration nach Großbritannien. Innerhalb von zwei Wochen starben damit sechs Personen, drei weitere werden auf See vermisst.

Die Londoner Innenstadt wurde am 12. September 2025 zur Bühne einer der größten Massenkundgebungen der britischen Geschichte. Sie war Ausdruck rechtsextremer Umsturzfantasien, die sich der Migrationsthematik bedienten, um eine britische Spielart der US-amerikanischen MAGA-Bewegung zu etablieren. Überlagert und verstärkt wurde der Effekt durch den Rummel, den die Trump-affine Rechte nach der Ermordung des amerikanischen Aktivisten Charles Kirk am 10. September entfachte. Innerhalb dieser Ereignisfolge spielt die Forderung nach einem Stoppen der Bootspassagen im Ärmelkanal nicht unbedingt eine zentrale, aber dennoch eine verbindende Rolle. Genau dies integriert sie in die Agenda einer transatlantischen Bewegung gegen die Demokratie.

Wenige Stunden vor den tödlichen Havarien in der Nacht vom 9. zum 10. September (siehe hier) kam es im britischen Teil des Ärmelkanals zu einem weiteren Unglück, bei dem eine Frau ihr Leben verlor. Damit erhöht sich Zahl der Todesfälle in diesem kurzen Zeitraum auf vier.