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Channel crossings & UK

Etwa 3.000 Bootspassagen am Vorabend von Sunaks Kampagne

In der beginnenden Woche wird der britische Premierminister Rishi Sunak zunächst seine Pläne zur Verschärfung des Asylrechts darlegen und wenige Tage später mit dem französischen Präsidenten Macron zu einem Regierungsgipfel zusammenkommen. Voraussichtlich wird es auf eine Gesetzesinitiative zur Deportation aller Bootsmigrant_innen nach Ruanda oder in ein anderes Drittland hinauslaufen, die u.a. durch die Festsetzung der betroffenen Menschen in lagerähnlichen Einrichtungen flankiert sein wird. Ob es Sunak außerdem gelingt, Frankreich oder die EU zu einem seit Jahren angestrebten Rücknahmeankommen zu bewegen, wird sich zeigen. Was jedoch jetzt bereits klar ist: Ungeachtet aller auf Abschreckung zielenden Kampagnen der vergangenen Monate und Jahre ist die Zahl der Bootspassagen in diesem Winter weiter angestiegen. Wie die BBC unter Berufung auf das Innenministerium mitteilt, erreichten seit Jahresbeginn 2.950 Menschen in small boats britisches Hoheitsgebiet. Die Marke von 3.000 Passagier_innen war im Jahr 2022 erst in der zweiten Märzhälfte und im Jahr 2021 im Mai erreicht worden (siehe hier und hier).

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Humanitäres Visum: Ein Vorschlag und seine Kehrseite

Kanalfähre bei Calais. (Foto: Th. Müller)

Migration, und insbesondere die undokumentierte Querung des Ärmelkanals, ist zu einem Agitationsfeld der britischen Rechten geworden. Während die Londoner Regierung eine alarmistisch-disruptive Rhetorik benutzt, wurden im Februar 2023 Hotels, in denen Geflüchtete untergebracht sind, zum Ziel teils gewalttätiger Straßenproteste. In Kürze wird die Rishi Sunak den Entwurf eines Migrationsrechts vorstellen, das zu den restriktivsten Europas gehören dürfte. In dieser Situation hat der Thinktank British Future im Februar einen Gegenentwurf vorgelegt, der u.a. humanitäre Visa für eine legale Einreise nach Großbritannien vorsieht. Wäre der Vorschlag Realität, so hätte ein Teil der fast 46.000 Channel migrants des Jahres 2022 den Ärmelkanal auf einer Fähre statt in einem Schlauchboot überqueren dürfen. Dennoch stellt der Vorschlag keine Abkehr von der repressiven Grenzpolitik der vergangenen Jahrzehnte dar. Er schreibt sie vielmehr unter realistischeren Bedingungen fort und könnte, würde er umgesetzt, eine riskantere Situation für diejenigen schaffen, die nicht von einem solchen Visum profitieren. Spielen wir den Vorschlag doch einmal durch.

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CS-Gas gegen ablegendes Schlauchboot

Teil eines CS-Gas-Geschosses, 6./7. Februar 2023. (Foto: Utopia 56 / Twitter)

Wenn Schlauchboote von der nordfranzösischen Küste ablegen, ist dies für die französische Polizei und Gendarmerie die letzte Gelegenheit, um eine Bootspassage abzubrechen. Hierbei kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Gewalt, die, weil sie meist bei Nacht an menschenleeren Strandabschnitten ausgeübt wird, selten dokumentiert wird (siehe hier, hier und hier). Über einen aktuellen Fall, bei dem Polizist_innen ein Boot mit CS-Gas beschossen, berichtet nun Utopia 56.

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Familien der Opfer fordern Entschädigung für die Havarie im November 2021

Bei der bislang schwersten Havarie eines Schlauchboots im Ärmelkanal starben am 24. November 2021 insgesamt 31 Geflüchtete, vier von ihnen wurden nie gefunden. Flankierend zur strafrechtlichen Aufarbeitung, fordern drei Familien von Opfern nun eine Entschädigung vom französischen Staat. Sie begünden dies mit der Untätigkeit der für die Seenotrettung zuständigen Institutionen. Unterstützt wird die Forderung durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen Utopia 56 und Ligue des droits de l’homme (Liga für Menschenrechte).

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Small Boats Operational Command

Dimensionen der Post-Brexit-Grenzpolitik: Nach dem Ende der Operation Isotrope

Zwei Jahre nach dem Vollzug des Brexit durchläuft die britische Grenzpolitik eine vielschichtige Transformation, deren Dimensionen wir in einer unregelmäßigen Serie von Beiträgen ausleuchten (siehe hier). Wir beschäftigen uns nun mit dem Small Boats Operational Command, einer am 31. Januar 2023 eingerichteten Behörde zur Bekämpfung der Bootspassagen des Ärmelkanals. Damit endete die Operation Isotrope, mit der die Grenzpolitik im April 2022 unter eine militärische Leitung gestellt worden war. Allerdings bedeutet die Rückübertragung der Befugnisse auf eine zivile Einrichtung keine Demilitarisierung oder gar Demokratisierung des Grenzregimes. Vielmehr verstärkt das Small Boats Operational Command die Verschmelzung militärischer und ziviler Strukturen zu einem hochorganisierten und restriktiven Grenzregime.

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Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

Prozess um tödliche Havarie im Oktober 2020

Am 27. Oktober 2020 ereignete sich die bis dahin schlimmste Havarie auf der Kanalroute. Damals ertranken im Seegebiet vor Loon-Plage bei Dunkerque sieben Menschen, unter ihnen eine fünfköpfige Familie mit ihren drei Kindern; der Leichnam des jüngsten Kindes, das 15 Monate alt war, wurde erst Monate später an der norwegischen Küste angespült (siehe hier, hier und hier). Am 20. Januar 2023 fand in Dunkerque nun der Strafprozess gegen drei Schleuser und einen Geflüchteten statt, der das Boot gesteuert haben soll. Das Gericht sprach Haftstrafen zwischen zwei und neun Jahren aus.

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Nichtrettung an der Seegrenze

Dank der französische Zollgewerkschaft Solidaires Douanes Gardes-Côtes wurde ein Vorfall öffentlich, der sich am 2. Januar 2023 an der Seegrenze inmitten des Ärmelkanals ereignet hat: Ein Schlauchboot mit 38 Geflüchteten erreichte britisches Hoheitsgebiet und geriet in Seenot. Die britische Küstenwache sicherte einen Rettungseinsatz zu, der jedoch nicht erfolgte. Vielmehr trieb das Boot in französische Gewässer zurück und wurde dort von der Besatzung eines Zollschiffs gerettet. Die Gewerkschaft der Zöllner_innen wirft der britischen Seite vor, die Geflüchteten in der Erwartung, dass sie über die Seegrenze zurücktreiben würden, sich selbst überlassen und damit ihr Leben aufs Spiel gesetzt zu haben.

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Channel crossings & UK

Deportationen nach Ruanda? Folgen des High-Court-Urteils

Direkte Folgen des Urteils

Obwohl der britische High-Court den Migrationsdeal der Regierung zur Deportation von Asylsuchenden nach Ruanda für grundsätzlich zulässig erklärt hat, sind in nächster Zeit keine Abschiebeflüge nach Ruanda zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger_innen das Urteil in den beiden nächsthöheren Instanzen, dem Court of Appeal und schließlich dem Supreme Court anfechten, und das Urteil erst nach diesem Berufungsverfahren rechtskräftig wird. Bis dahin (genauer gesagt bis drei Wochen nach Rechtskraft des endgültigen britischen Urteils) bleiben die Abschiebeflüge nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Juni 2022 ausgesetzt.

Selbst wenn danach der Ruanda-Deal umgesetzt wird, haben die ursprünglich für den ersten Abschiebeflug vorgesehenen Menschen eine gute rechtliche Chance, sich gegen Deportation nach Ruanda erfolgreich zu wehren: Während der High Court keine grundsätzlichen rechtlichen Hürden gegen den Ruanda-Plan erkennen mochte, hat er die Entscheidung in den Einzelfällen als unangemessen eingestuft und eine erneute Entscheidung angeordnet.

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Allgemein Channel crossings & UK

Dimensionen der Post-Brexit-Grenzpolitik

Calais, August 2020. (Foto: T. Müller)

Die britische Politik gegenüber den small boats im Ärmelkanal durchläuft eine Veränderung. Diese vollzieht sich auf mehreren Handlungsebenen und weist zwei scheinbar entgegengesetzte Enwicklungslinien auf: Während einerseits neue multilaterale Formate unter Einbeziehung Deutschlands entstehen, tritt andererseits ein Primat des Nationalen hervor, das die Vielzahl einzelner Praktiken und Vorhaben ideologisch überwölbt. Die Post-Brexit-Grenzpolitik scheint sich in ihrer Radikalität den Grenzpolitiken von Staaten wie Ungarn, Italien oder Polen anzunähern. Dabei inszenieren sich britische Konservative mit eigenständigen Ideen als Avantgarde einer neuen internationalen Flüchtlingspolitik. Ob dies gelingen kann, ist alles andere als ausgemacht. In einer losen Folge von Beiträgen werden wir an dieser Stelle einige Dimensionen dieser Post-Brexit-Grenzpolitik ausleuchten. Wir beginnen mit einen Überblick.

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Über 45.000 Bootspassagen im Jahr 2022

Im vergangenen Jahr überquerten 45.670 Menschen den Ärmelkanal auf riskante Weise per Schlauchboot. [Update: Am 2. Januar wurde die Zahl konkretisiert auf 45.756 Personen.] Dies waren so viele wie noch nie, seitdem im Herbst 2018 zum ersten Mal einige hundert Geflüchtete per Boot übergesetzt und damit eine neue maritime Migrationsrote in Europa erschlossen hatten. Der abermalige Anstieg der Passagen fällt in eine Zeit, in der sich die nach rechts gerückte britische Regierung als Promotor einer neuen inernationalen Migrationspolitik inszeniert, die in ihrer Radikalität inzwischen ohne weiteres mit dem Italien Melonis oder dem Ungarn Orbans verglichen werden kann.