Seit dem 1. Dezember 2021 ist ein Frontex-Flugzeug an der nordfranzösischen Küste im Einsatz. Die EU-Grenzschutzagentur wird ihre Präsenz am Ärmelkanal nun verlängern. Wie InfoMigrants berichtet, erklärte die Exekutivdirektorin von Frontex, Aija Kalnaja, am 10. November vor dem französischen Senat, man unterstützte „die französischen Grenzschutzbehörden durch eine Luftüberwachung“ und werde „dies auch im kommenden Jahr fortsetzen“.
Calais Appel, eine Dachorganisation von acht in Calais tätigen Basisinitiativen, richtete am 4. November 2022 einen offenen Brief an den britischen Premierminister Rishi Sunak. Darin beschreiben sie die fortdauernde humanitäre und menschenrechtliche Krise in Nordfrankreich. Sie plädieren für die Schaffung sicherer Einreisewege nach Großbritannien, statt den Grenzraum so abschreckend wir möglich zuzurichten. Wir dokumentieren das Schreiben im Folgenden:
Räumungen trotz Winterfriede auch 2022/23
Wie in den vergangenen Jahren, wird die in Frankreich geltende Winterpause für Zwangsräumugen erneut missachtet. Diese gilt landesweit vom 1. November bis zum 31. März und soll verhindern, dass Menschen während der kalten Jahreszeit ihre Wohnung verlieren. Vor einem Jahr hatten Aktivist_innen in der Calaiser Kirche Saint-Pierre mehr als fünf Wochen lang einen Hungerstreik durchgeführt, um u. a. die Einhaltung dieser Regelung durchzusetzen (siehe hier). Ihr Ziel hatten sie trotz landesweiter Aufmerksamkeit nicht erreicht, und insofern verwundert es nicht, dass die Behörden ihre Räumungsroutine zu Beginn des Winters 2022/23 stillschweigend fortführen.
Der Brandanschlag auf das Migrationszentrum in Hafen von Dover am 30. Oktober 2022 (siehe hier) hat einen rechtextremen Hintergrund und wird von den Polizeibehörden als rechtsterroristisch bewertet. Recherchen britischer Medien und antifaschistischer Initiativen geben einen ersten Einblick in das ideologische Weltbild von Andrew Leak, der inzwischen als Täter indentifiziert ist.
November 2022
Wir verlinken hier eine Auswahl aktueller Meldungen aus den Medien und Beiträge von Exilierten und Aktivist_innen und mit Bezug zur Situation im kontinentaleuropäisch-britischen Migrationsraum.
Das Migrant Processing Centre der Border Force im Hafen von Dover wurde am heutigen 30. Oktober 2022 Ziel eines Anschlags. Ersten Medienberichten zufolge warf ein Mann Brandsätze auf die Anlage und soll sich anschließend selbst getötet haben.
[Mit einem Update zum Stand am 3.11.2022]
Am 7. Februar 2022 besetzten Aktivist_innen zwei Gebäude in Calais, um Exilierten eine menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen und einen Raum für gemeinsames solidarisches Handeln zu eröffnen. Nach der Räumung des größeren Gebäudes – eines Hochhauses in einem Außenbezirk der Stadt – blieb das andere bestehen (siehe hier, hier und hier). Nun ist seinen Nutzer_innen ein juristischer Erfolg gelungen, der es ihnen erlaubt, das Projekt für die Dauer von drei Jahren fortzuführen. Allerdings war das Gerichtsverfahren von Festnahmen und Abschiebungen begleitet und kann noch angefochten werden.
Im September und Anfang Oktober 2022 wurde der Jungle in Loon-Plage bei Dunkerque einem verstärkten Repressionsdruck ausgesetzt: Der Turnus von Räumungen wurde beschleunigt, die Lebensverhältnisse und die gesundheitliche Situation verschlechterten sich, zivilgesellschaftliche Hilfe wurde sabotiert. Der zeitliche Beginn dieses erhöhten Drucks lässt vermuten, dass es sich um eine Antwort der Polizeibehörden auf die Gewalt und die Morde handelt, deren Schauplatz das Camp am 30. August und 6./7. September 2022 gewesen war (siehe hier, hier und hier).
Gericht stoppt Hilfsverbote
Seit 2020 galt in Calais fast ununterbrochen ein Verbot kostenloser Wasser- und Nahrungsverteilungen an Exilierte, sofern diese Hilfe in bestimmten Teilen der Stadt und ohne staatlichen Auftrag erfolgte. Faktisch war es unabhängigen Organisationen damit untersagt, lebenswichtige Hilfe dort zu leisten, wo sie gebraucht wird: bei den Camps. Eine Klage der betroffenen Organisationen hatte nun Erfolg: Das Verwaltungsgericht in Lille hob die Verbotsverfügungen der Präfektur auf. Die Solidaritätsbewegung hat auf einem wichtigen juristischen Konfliktfeld damit einen Sieg errungen.
Riskante Zeit
Ungefähr 37.000 Menschen haben seit Beginn dieses Jahres den Ärmelkanal in kleinen Booten durchquert. Trotz der sinkenden Temperaturen und der schwieriger werdenden Verhältnisse auf See ist die Zahl der täglichen Überfahrten nach wie vor hoch. Mit dem Beginn der kalten Jahreszeit sind die Passagen jedoch riskanter geworden und die Zahl der Havarien nimmt zu.