Die Zahl der Bootspassagier_innen auf der Kanalroute erreichte am 29. August die medial viel beachtete Marke von 20.000. Dies sind etwas weniger Personen als im Vorjahr, als dieselbe Zahl bereits am 14. August erreicht wurde (siehe hier). Der jährliche Anstieg der Bootspassagen, wie wir ihn seit 2018 gesehen haben, setzt sich in diesem Jahr also nicht fort. Vielmehr liegen die Zahlen seit einigen Monaten etwas unter denen von 2022, aber deutlich über denen von 2021. Daher dürfte 2023 das Jahr mit den zweitmeisten Bootspassagen seit der Etablierung der Kanalroute (2018) werden. Von ihrem populistischen Ziel, die small boats zu stoppen, bleibt die britische Regierung also weit entfernt. Gleichzeitig werden neue Risiken auf See sichtbar.
Monat: August 2023
Im Sommer 2021 wurde auf dem Canal des Dunes bei Dunkerque eine schwimmende Barriere angelegt, um die Durchfahrt von Schlauchbooten durch den dortigen Fährhafen zum Ärmelkanal zu verhindern. Auf dem Fluss Canche in der Normandie besteht seit dem 10. August 2023 eine weitere schwimmende Barriere. Die Behörden des Departements Pas-de-Calais reagieren damit offenbar auf veränderte Techniken der Bootspassagen.
Vor einer Woche startete das Boot mit mindestens 65 Passagieren, dessen Havarie sechs afghanische Männer das Leben kostete (siehe hier). Inzwischen wurden weitere Details über die Ursachen der Havarie und den Verlauf der strafrechtlichen Ermittlungen bekannt.
August 2023
Wir verlinken hier eine Auswahl aktueller Meldungen aus den Medien und Beiträge von Exilierten und Aktivist_innen und mit Bezug zur Situation im kontinentaleuropäisch-britischen Migrationsraum.
In den frühen Morgenstunden des 12. August 2023 kam es im Ärmelkanal erneut zu einer tödlichen Havarie, der ersten in diesem Jahr. Sechs Menschen wurden im Laufe des Tages tot geborgen oder starben nach einer Einlieferung ins Krankenhaus. Zwei weitere Personen gelten als vermisst. Hier eine erste Zusammenfassung der am Tag der Katastrophe vorliegenden Informationen.
Zur britisch-türkischen Zusammenarbeit bei der Vorfeld-Bekämpfung der Bootspassagen
Die Regierungen Großbritanniens und der Türkei veröffentlichten am 9. August 2023 eine gemeinsame Erklärung zum Aufbau eines „Kompetenzzentrum“ für die Bekämpfung von Schleusernetzwerken und zur Unterbrechung der Lieferketten für Boote und Bootsequipment. Kurz vorher war bekannt geworden, dass Großbritannien bereits jetzt türkische Grenztruppen unterstützt und Informationen über Geflüchtete, die den Ärmelkanal passiert haben, an diese weiterleitet. Diese Entwicklung ist Teil einer Internationalisierung der britischen Grenzpolitik nach dem Ausscheiden aus der EU. Sie dokumentiert zudem die Bereitschaft, auch mit hochproblematischen Partnern zu kooperieren.
Das neue britische Migrationsgesetz, der Illegal Migration Act, wurde am 20. Juli 2023, mit der königlichen Zustimmung beschlossen. Die Verabschiedung des neuen Gesetzes erfolgte nach mehreren Lesungen des Gesetzesentwurfs im britischen Unterhaus und Oberhaus sowie dem „Ping-Pong“ zwischen beiden Häusern, also dem Prozess in dem sich beide Häuser auf Änderungen einigen. Faktisch ist von den extrem restriktiven Regelungen nun jedoch erst ein Teil in Kraft getreten, da mit dem bislang gescheiterten Ruanda-Deals die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Das wichtigste gesetzgeberische Vorhaben der Regierung Sunak zu Bekämpfung der small boats bleibt damit ein Torso.
[Update: Nach der unten beschriebenen Verschiebung begann die Belegung des Schiffs am 7. August 2023 mit zunächst 15 Personen. Zwanzig weitere verweigerten offenbar die Unterbringung. Wenige Tage später wurden auf dem Schiff Legionellen festgestellt und die inzwischen 39 dort untergebrachten Personen wieder verlegt. Ende August war das Innenministerium auf eine Medienanfrage noch nicht in der Lage, irgendeinen Zeitrahmen für die Belegung des Schiffs anzugeben.]
Das im Hafen von Portland liegende Schiff Bibby Stockholm sollte am 1. August 2023 mit den ersten – je nach Quelle – 40 oder 50 von insgesamt über 500 Geflüchteten belegt werden. Es ist Teil einer neuen Infrastruktur lagerartiger Massenunterkünfte für Menschen, die per Schlauchboot den Ärmelkanal überquert haben (siehe hier und hier). Erfolgt ist die Belegung bislang nicht, nachdem die Fire Brigades Union (FBU) auf Sicherheitsrisiken hingewiesen hatte. Gleichwohl hält die Regierung an einer kurzfristigen Inbetriebnahme der Massenunterkunft fest.