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Allgemein

Opfer der Grenzpolitik: Die Todesfälle im Jahr 2023

Gedenken in Equihen bei Boulogne-sur-Mer am 12. Dezember 2023 für die verstorben und vermissten Exilierten an der Kanalküste. (Foto: Osmose 62)

Mindestens 28, vermutlich aber über 30 Exilierte starben 2023 im britisch-kontinentaleuropäischen Grenzraum. Die Gesamtzahl der dokumentierten Todesfälle stieg damit auf annähernd 400 Menschen seit der Jahrtausendwende. Sie alle sind direkt oder indirekt Opfer einer Migrationspolitik, die eine sichere und legale Passage der Grenze unmöglich gemacht hat. Keiner der Menschen hätte in einer anderen politischen Konstellation sterben müssen. Als eine Geste des Respekts erinnern wir an die Opfer der Grenze.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Simultane Räumungen, multiple Krise

Blick vom Camp Old Lidl zum Gewerbegebeit Transmarck, 27. November 2023. (Foto: Th. Müller)

Die wichtigsten Camps im nordfranzösischen Küstengebiet wurden am 30. November 2023 zeitgleich geräumt und über 1200 Menschen auf Aufnahmezentren in ganz Frankreich verteilt. Es war eine der größten Räumungen seit 2016 – und die erste simultan in Dunkerque und Calais durchgeführte. Wenige Tage vor der Räumung hatten wir Gelegenheit, uns einen Eindruck von der Situation in den betroffenen Camps zu verschaffen – es war eine Reise in ein Krisengebiet.

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Calais

Tödliche Konflikte zwischen Exilierten

[Korrigiert, siehe unten] Im November 2023 starben in Calais zwei Exilierte an Verletzungen, die sie bei gewaltsam ausgetragenen Konflikten mit anderen Exilierten erlitten hatten. Die beiden Todesfälle resultieren aus zunehmenden Spannungen, die durch die bewusste Verknappung von Ressourcen noch verschäft werden.

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Calais

Exilierte auf der Autobahn getötet und verletzt

[Updated, 20. November 2023] In der Nacht vom 16. auf den 17. November 2023 wurde eine Gruppe von Migrant_innen auf einer Autobahn bei Calais angefahren. Medienberichten zufolge starben zwei von ihnen, andere wurden teils schwer verletzt. Der Fahrer oder die Fahrerin ist flüchtig. Hier eine Zusammenfassung des Wenigen, das bislang bekannt wurde.

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Calais

In einem überfluteten Camp

Detail in einem überfluteten Camp. (Foto: Julia Druelle, November 2023).

Eine Phase ungewöhnlich starker Regenfällen hat in Nordfrankreich zu Überschwemmungen geführt und für die rund 4.000 Exilierten in ihren provisorischen Camps eine unerträgliche Situation geschaffen: Der Boden hat sich in Morast verwandelt, Zelte stehen buchstäblich im Wasser, Kleidung ist nicht mehr zu trocknen. Von der Hilfe der Behörden für die Opfer der Katastrophe bleiben die Exilierten ausgeschlossen. Die Calaiser Fotografin Julia Druelle hat die Situation dokumentiert. Ihre Bilder entstanden am 10. November 2023 in Old Lidl, dem größten Camp im Raum Calais.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Nur etwas Schutz vor dem Sturm

Am 2. November 2023 erreichte das Orkantief Ciaran die Ärmelkanalregion. Der Sturm stellte für die Camps bei Calais und Dunkerque eine Bedrohung dar. An beiden Orten stellten die Behörden Notunterkünfte bereit. Doch lokale Initiativen und Medien weisen darauf hin, dass sie nur für einen Teil der Camp-Bewohner_innen ausreichten und von vielen nicht angenommen wurden. Hunderte Geflüchtete waren daher dem Sturm ausgesetzt.

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Calais

Old Lidl: Massive Räumung im Logistikpark

Eingang des Camps Old Lidl mit den Neubau eines Logistikzentrums, Mai 2023 (Foto: Th. Müller)

Am Rand von Calais kam es am 10. Oktober zu einer der größten polizeilichen Räumungen eines Camps seit 2016. Betroffen war, wie bereits im Juni (siehe hier und hier), das Camp Old Lidl. Mit bis zu tausend Bewohner_innen meist sudanischer Herkunft war es der größte informelle Lebensort im Raum Calais. Einen Tag nach der Räumung begannen Bewohner_innen mit dem Wiederaufbau. Nach wie vor ist die Entwicklung des Camps eng mit einem Gewerbegebiet verflochten, über das ein Großteil des Frachtverkehrs nach Großbritannien läuft. Die Erschließung neuer Flächen für Firmenansiedlungen bildet den Hintergrund der aktuellen Räumung – und ist Teil einer expandierenden Hochsicherheitslandschaft im Vorfeld der britischen Grenze.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Zwei weitere Todesfälle bei Calais und Dunkerque

Wenige Tage nach dem Tod einer Eritreerin bei einer Bootspassage (siehe hier) starben zwei weitere Geflüchtete im nordfranzösischen Grenzraum. Beide Todesfälle ereigneten sich am 30. September 2023: In Calais wurde ein Mann von einem Zug erfasst und in Loon-Plage bei Dunkerque ertrank ein Mann in einem Kanal.

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Calais

Eine Wende im Kampf um Trinkwasser

Einer der wenigen offiziellen Zugänge der Exilierten zu Trinkwasser in Calais, Rue des Huttes, Mai 2023. (Foto: Th. Müller)

Nach einem Rechtsstreit in der Normandie besteht auch in Calais und Dunkerque die Hoffnung, einen menschenwürdigen Zugang zu Wasser juristisch durchsetzen zu können: Der Staatsrat (Conseil d’État) verpflichtete die dortigen Behörden durch seinen Beschluss vom 3. Juli 2023, den Bewohner_innen eines Camps Trinkwasser und Waschmöglichkeiten bereitzustellen. Die Entscheidung dürfte auf die nordfranzösische Kanalküste übertragbar sein. Seit Jahren verknappen die Behörden hier den Zugang zu Trinkwasser und Waschgelegenheiten, um den Lebensalltag der Exilierten abschreckend zu gestalten – und brechen damit die nun vom Staatsrat bestätigten Prinzipien.

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Channel crossings & UK

Geraubte Heuhaufen – KI im Migrationsregime

Wir haben uns in diesem Blog bereits mit dem mutmaßlichen Einsatz von KI-Algorithmen bei der Überwachung des Kanals befasst. In diesem Beitrag wird es um die Methoden gehen, mit denen die Datenbasis für KI-Algorithmen gewonnen wird. Diese sind nicht spezifisch für den Einsatz am Ärmelkanal, mehr noch, uns sind die konkret dort heute oder künftig eingesetzten Algorithmen unbekannt, daher wird dieser Beitrag nicht spezifisch auf die Situation am Kanal eingehen (können). Angesichts der breiten Debatte über die Chancen, Risiken und Folgen von KI ist es uns jedoch wichtig, auf Aspekte hinzuweisen, die den Einsatz von KI im Kontext des Migrationsregimes besonders gravierend erscheinen lassen.

Anfang Juli haben kalifornische Anwälte den ChatGPT-Hersteller OpenAI und seinen Partner Microsoft in einer Sammelklage auf 3 Milliarden Dollar Schadenersatz beziehungsweise an US-amerikanischer Nutzer_innen sozialer Medien zu zahlender „Datendividende“ verklagt. Egal, ob die Begründung überzeugt oder nicht, spätestens mit der Sammelklage dürfte in der öffentlichen Debatte angekommen sein, was Naomi Klein als maskierten Raub analysiert hat: das die Datenbasis für die meisten KI-Modelle auf einer massenhaften, heimlichen, nicht vereinbarten Aneignung von Information beruht. Und ähnlich wie sich die Risiken beim Einsatz von KI im Migrationsregime für die ihm unterworfenen Menschen verschärfen, fällt auch die Aneignung zur Herstellung der Datenbasis besonders gravierend aus.