Sollte jemand der Illusion angehangen haben, nur im Süden und Osten der EU griffen Grenzschützer*innen zu Maßnahmen, die Geflüchtete gefährden und gegen Menschenrechte verstoßen – die Lighthouse Reports-Publikation „Sink the boats“ räumt damit gründlich auf. Videos und Dokumente vom Ärmelkanal belasten die französische Polizei schwer.
Monat: März 2024
Zwischen dem 1. Januar und dem 21. März überquerten 4.306 Exilierte den Ärmelkanal in Schlauchbooten. In den Vorjahren hatte die Zahl bei 3.836 (2022) bzw. 3.683 (2023) gelegen. Noch nie hat es in einem Winter also so viele Bootspassagen auf der Kanalroute gegeben, und dies, obschon die Zahl der Passagen im Gesamtjahr 2022 erstmals rückläufig war (siehe hier). Der Anstieg in den Wintermonaten bedeutet zugleich ein höheres Risiko, das durch die Fokussierung der Ordnungskräfte auf die Anfahrtwege und Ablegestellen der Boote nicht vermindert, sondern erhöht wird.
In der Nacht zum 3. März 2024 meldeten Exilierte den mutmaßlichen Tod eines der ihren. Er sei, so berichteten sie, im kanalisierten Fluss Aa bei Gravelines ertrunken, als er zu ihrem Boot gelangen wollte. Am 12. März machten zivilgesellschaftliche Organisationen den Fall publik, veröffentlichten Fotos des Vermissten und warfen den Behörden vor, nur unzureichend nach dem Vermissten gesucht zu haben (siehe hier). Inzwischen wurde eine Leiche entdeckt, bei der es sich höchst wahrscheinlich um den Vermissten, den 27jährigen Jumaa Alhasan aus Syrien, handelt. Zugleich lässt der Fall ein gravierendes Fehlverhalten der Behörden erkennen.
Ruanda, Plan B
Britischen Medien zufolge arbeitet die britische Regierung an einem alternativen Verfahren, um illegalisierte Migrant_innen nach Ruanda zu verbringen. Anders als der bisherige Ruanda-Deal, der die zwangsweise Deportation in das afrikanische Land und den Ausschluss der Betroffenen aus britischen Anerkennungsverfahren vorsieht, soll das neue Verfahren auf freiwilliger Basis erfolgen und sich an ein gescheitertes Anerkennungsverfahren anschließen. Außerdem ist von einem finanziellen Anreiz die Rede. Das Vorhaben ist jedoch keine Abkehr vom bisherigen Ruanda-Deal, der parallel dazu weiter verfolgt wird.
Weit im Hinterland der nordfranzösischen Küste ereignete sich am 3. März 2024 ein tödlicher Unfall: Als eine Gruppe von Geflüchteten auf ein Boot stieg, um über den kanaliesierten Fluss Aa den Ärmelkanal zu erreichen und nach Großbritannien überzusetzen, ertrank ein siebenjähriges Mädchen (siehe hier). Wie nun bekannt wurde, starb an einer anderen Stelle der Aa wenige Stunden zuvor vermutlich ein weiterer Mensch.
Das „Ruanda-Modell“ in den Europawahl-Programmen von CDU/CSU und EVP. Eine Aktualisierung
Vor einigen Wochen haben wir an dieser Stelle einen Überblick zur Adaption des britischen Ruanda-Deals durch deutsche Parteien gegeben: Ausgehend von der rechtsextremen AfD, haben CDU, FDP und BSW die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten in ihre Europawahlprogramme aufgenommen, lediglich SPD und Linkspartei sprechen sich dagegen aus (siehe hier). Nun hat sich auch die Europäische Volkspartei (EVP), aus deren Reihen die amtierende EU-Kommissionspräsidentin kommt, das Konzept zueigen gemacht. Der rechte Flügel der britischen Tories, der den Ruanda-Deal 2022 auf den Weg gebracht hat, ohne ihn jemals umsetzen zu können, erweist sich währenddessen immer deutlicher als Teil der rechtsextremen Mobilmachung gegen die liberale Demokratie und Gewaltenteilung.
[Mit einem Update, 9. März 2024] Auf einer Wasserstraße im Hinterland der nordfranzösischen Küste kenterte am heutigen 3. März 2024 ein Boot, auf dem sich sechzehn Exilierte befanden. Offenbar hatten sie versucht, auf diese Weise den Ärmelkanal zu erreichen und nach Großbritannien überzusetzen. Bei der Havarie ertrank ein Kind im Alter von sieben Jahren.
März 2024
Wir verlinken hier eine Auswahl aktueller Meldungen aus den Medien und Beiträge von Exilierten und Aktivist_innen und mit Bezug zur Situation im kontinentaleuropäisch-britischen Migrationsraum.