Die französische Sektion von Amnesty International hat am 20. Mai 2020 auf die Behinderung der humanitären Arbeit der NGOs in Nordfrankreich – namentlich in Calais und Grande-Synthe – aufmerksam gemacht. In ihrer Erklärung kritisieren sie die hier im Blog schon mehrfach erwähnten Übergriffe gegen die Migrant_innen dort, u.a. Einschüchterungen und Schikanen gegen Freiwillige bei der Dokumentation von Polizeieinsätzen gegen Migrant_innen (siehe hier) und die vorläufige Festnahme von vier Freiwilligen der Organisation Utopie 56 in Grande-Synthe (siehe hier). Amnesty schreibt u.a.:
Kategorie: Dunkerque & Grande-Synthe
Die Initiative Human Rights Obervers hat nun ihren Bericht über die Menschenrechtssituation in Calais und Grande-Synthe im Monat April 2020 veröffentlicht. Der Bericht bestätigt, dass der Beginn der Pandemie und der Schutzmaßnahmen (confinement) nicht zu einem Rückgang der nach wie vor stattfindenden Räumungen der Camps geführt hat. So registrierte die Gruppe in Calais 135 Räumungen vom Beginn des Confinement am 17. März bis zum Ende des Berichtszeitraums am 30. April. Davon entfielen 90 Räumungen auf den Monat April.
Ein Video vermittelt eine visuelle Vorstellung von der Situation in den Camps von Calais und Grande-Synthe. Es begleitet Aktivit_innen von Utopia 56 und Care4Calais bei ihren Aktivitäten in Calais und Grande-Synthe. Zu sehen sind u.a. die ausgedehnten Zeltcamps des Jungle von Calais und die in den Hallen von La Linière errichteten Camps in Grande-Synthe.
Da der Film nur in französischer Sprache zur Verfügung steht, hier eine inhaltliche Zusammenfassung:
Eine Zusammenfassung der Lage in Calais / Grande-Synthe, basierend auf unseren Recherchen der letzten Wochen, heute in der Online-Ausgabe der taz.
Mit den immer unmöglicheren Lebensbedingungen in den migrantischen Niederlassungen um Calais und Dunkerque nimmt die Anspannung in diesen Tagen zu. Zusätzlich zur Routine von Polizeigewalt und Räumung sowie dem Covid-19-Ausbruch kommt derzeit die Angst, in ein Aufnahmelager gebracht zu werden, weit entfernt vom Kanal, ohne Chance von dort aus Großbritannien zu erreichen. Auch für die verbliebenen Freiwilligen wird die Situation zunehmend schwierig, wie der folgende Bericht eines Mitglieds von Utopia 56 zeigt:
by Nabaz Sharif (Northern France)
Die in Calais tätige britische Organisation Care4Calais veröffentlichte am 19. April 2020 über Facebook die Ergebnisse einer Umfrage unter 150 Geflüchteten in Calais und Grande-Synthe (Dunkerque). Es ist die erste durch Befragungen einer größeren Gruppe ermittelte Stimmungsbild seit dem Beginn der Corona-Krise. Sie zeigt u.a., dass Ängste in Bezug auf die konkrete Lebenssituation und die Ernährungslage größer sind als die Furcht vor einer Infektion, worin sich auch nach Ansicht der Organisation die desaströse Versorgungslage und das fehlende Vertrauen in den französischen Staat spiegeln.
Wie die Auberge des Migrants am 15. April und Medicins du Monde Hautes-de-France am 16. April über Facebook berichteten, fanden am Mittwoch, dem 15. April morgens die ersten Räumungen des Camps in der Ruine La Linière in Grande-Synthe statt (zu Abgrenzung von Räumung, Evakuierung und Auflösung siehe hier).
Wie die Regionalzeitung La Voix du Nord am 6. April 2020 berichtet, ging die Evakuierung des Jungle in Calais weiter. Am Montag seien weitere 70 Migrant_innen mit Bussen in Unterkünfte in der Region Hauts-de-France gebracht worden. Somit scheinen sich zumindest aktuell die Befürchtungen einer zwangsweisen Verbringung in entferntere Regionen noch nicht zu bewahrheiten. Die Region Hauts-de-France entstand am 1. Januar 2016 durch den Zusammenschluss der bisherigen Regionen Nord-Pas-de-Calais und Picardie.
In den Monaten Januar bis März 2020 führten die Polizeibehörden in Calais und Grande-Synthe mindestens 320 Räumungen durch. In Calais waren es rund 100 Räumungen im Monat. Auch im März, als die Corona-Pandemie ausbrach, verringerte sich die Zahl kaum. Allein für die Zeit des Lockdown, der am 17. März begann, sind dokumentieren die Human Rights Obervers 45 Räumungen – und damit 45 vermeidbare Ansammlungen einer großen Zahl von Menschen. Die monatlichen Berichte der Gruppe vermitteln einen Einblick in Strukturen und Praxen einer auf Zermürbung zielenden Politik vor Beginn und am Anfang der Krise.