Kategorien
Allgemein Channel crossings & UK

Dimensionen der Post-Brexit-Grenzpolitik

Calais, August 2020. (Foto: T. Müller)

Die britische Politik gegenüber den small boats im Ärmelkanal durchläuft eine Veränderung. Diese vollzieht sich auf mehreren Handlungsebenen und weist zwei scheinbar entgegengesetzte Enwicklungslinien auf: Während einerseits neue multilaterale Formate unter Einbeziehung Deutschlands entstehen, tritt andererseits ein Primat des Nationalen hervor, das die Vielzahl einzelner Praktiken und Vorhaben ideologisch überwölbt. Die Post-Brexit-Grenzpolitik scheint sich in ihrer Radikalität den Grenzpolitiken von Staaten wie Ungarn, Italien oder Polen anzunähern. Dabei inszenieren sich britische Konservative mit eigenständigen Ideen als Avantgarde einer neuen internationalen Flüchtlingspolitik. Ob dies gelingen kann, ist alles andere als ausgemacht. In einer losen Folge von Beiträgen werden wir an dieser Stelle einige Dimensionen dieser Post-Brexit-Grenzpolitik ausleuchten. Wir beginnen mit einen Überblick.

Kategorien
Calais

Ein weiterer Suizid in Calais

Erneut ist ein Geflüchteter in Calais gestorben. Er wurde am 3. Januar 2023 auf einem Bahngleis im Süden der Stadt von einem Güterzug erfasst. Wie die zivilgesellschaftliche Organisation Utopia 56 mitteilt, hat der Mann sich „vor den Augen von Freiwilligen der Hilfsorganisationen und seinen Begleitern vor einen Zug geworfen.“ Auch die lokale Zeitung La Voix du Nord spricht von Suizid. Über die Identität des Opfers ist bislang lediglich bekannt, dass der Mann aus dem Sudan gekommen und etwa dreißig bis vierzig Jahre alt sein soll.

Kategorien
Channel crossings & UK

Über 45.000 Bootspassagen im Jahr 2022

Im vergangenen Jahr überquerten 45.670 Menschen den Ärmelkanal auf riskante Weise per Schlauchboot. [Update: Am 2. Januar wurde die Zahl konkretisiert auf 45.756 Personen.] Dies waren so viele wie noch nie, seitdem im Herbst 2018 zum ersten Mal einige hundert Geflüchtete per Boot übergesetzt und damit eine neue maritime Migrationsrote in Europa erschlossen hatten. Der abermalige Anstieg der Passagen fällt in eine Zeit, in der sich die nach rechts gerückte britische Regierung als Promotor einer neuen inernationalen Migrationspolitik inszeniert, die in ihrer Radikalität inzwischen ohne weiteres mit dem Italien Melonis oder dem Ungarn Orbans verglichen werden kann.

Kategorien
Allgemein

Opfer der Grenzpolitik: Die Todesfälle im Jahr 2022

Wandschrift in Calais, November 2022. (Foto: Th. Müller)

Seit 1999 starben im britisch-kontinentaleuropäischen Grenzraum mehr als 360 Menschen. Sie alle sind direkt oder indirekt Opfer einer Migrationspolitik, die eine sichere und legale Passage der Grenze für sie unmöglich gemacht hat. Keiner dieser Menschen hätte in einer anderen politischen Konstellation sterben müssen. Zivilgesellschaftliche und politische Initiativen sowie das Missing Migrants Projekt der IOM dokumentieren das Geschehen seit Jahren. Auch wir haben über alle Fälle, die uns bekannt geworden sind, berichtet. Fügt man diese Informationen zusammen, so zeigt sich, dass 2022 mindestens neunzehn Migranten ums Leben kamen (die männliche Form trifft zu, denn es waren keine Frauen unter den dokumentierten Fällen). Sie starben in unterschiedlichen Situationen teils auf Land und teils auf See, teils bei versuchten Grenzpassagen, teils durch Suizid oder durch Gewalt, teils im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen in einem informellen Camp oder in einer offiziellen Einrichtung. Da mehrere Menschen nach Havarien vermisst werden, muss von weiteren Todesfällen ausgegangen werden.

Kategorien
Channel crossings & UK

Gemeinsame Erklärung zur tödlichen Havarie vom 14. Dezember 2022

Eine Woche nach der tödlichen Havarie im Ärmelkanal (siehe hier und hier) veröffentlichen zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist_innen aus Frankreich, Großbritannien und Belgien ein gemeinsames Statement zur Lage der Geflüchteten auf der Kanalroute. Sie stellen den Tod der vier Menschen in den Kontext der hostile environment-Politik beiderseits des Ärmelkanals, wenden sich gegen die aktuellen Verschärfungen der Migrationspolitik und plädieren für Bewegungsfreiheit. Im Folgenden dokumentieren wir den auf der Website des Joint Council for the Welfare of Immigrants veröffentlichten Text:

Kategorien
Channel crossings & UK

Vorläufige Rekonstruktion einer tödlichen Nacht

Trauerkundgebung in Calais für die Opfer der Havarie vom 14. Dezember 2022. Auf dem Banner sind die Grenztoten der vergangenen beiden Jahrzehnte benannt. (Foto: Utopia 56)

In den Nachtstunden des 14. Dezember 2022 havarierte im Ärmelkanal ein Schlauchboot. Vier Geflüchtete verloren ihr Leben (siehe hier). Nach der Havarie veröffentlichten sowohl zivilgesellschaftliche Organisationen, als auch die zuständige französische Seepräfektur, genauere Informationen über das nächtliche Geschehen auf See. Ein Abgleich dieser Daten wirft die Frage nach operativen bzw. institutionellen Defiziten insbesondere der französischen Leitstelle auf. Außerdem wurde bekannt, dass wiederholte Notrufe eines anderen Bootes in derselben Nacht ins Leere liefen.

Kategorien
Calais

Ein erzwungener Tag ohne Räumungen

Durch eine solidarische Aktion hat es am heutigen 18. Dezember 2022 – dem Internationalen Tag der Migrant_innen – in Calais keine Räumungen und Beschlagnahmungen gegeben. Erreicht wurde dies durch die Blockade von Fahrzeugen, die routinemäßig solche Maßnahmen durchführen. Die Aktivist_innen prangerten in einer Erklärung (siehe unten) die andauernde Verletzung elementarer Menschenrechte an. Zugleich erinnerten sie an die tödliche Havarie vom 14. Dezember und die zahlreichen Todesfällen seit 2021.

Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Loon-Plage: Räumung und Beton

Betonsperre nach der Räumung in Loon-Plage, Dezember 2022. (Foto: Human Rights Observers)

Zum wiederholten Mal wurde am 7. Dezember 2022 der Jungle von Loon-Plage geräumt. Dabei wurden nicht nur Zelte und persönliches Eigentum der Bewohner_innen zerstört, sondern auch weitere Betonsperren errichtet. Diese machen es zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich, im Fall einer Wiederbesiedlung des Geländes Trinkwasserbehälter zu unterhalten. Dabei stellt der Zugang zu Trinkwasser ein elementares Menschenrecht dar, und nicht nur dieses Recht wird in Loon-Plage verletzt.

Kategorien
Calais

Rechte Übergriffe auf Freiwillige

Der Brandanschlag auf ein Aufnahmezentrum für Channel migrants im Hafen von Dover am 30. Oktober 2022 (siehe hier) wirft die Frage nach rechtsextremer Gewalt im Kontext der französisch-britischen Grenze auf. Wir haben daher in Calais nachgefragt und erfuhren von Übergriffen gegen freiwillige Helfer_innen und gegen Versorungsinfrastrukten für Exilierte. Am 23. September 2022 gipfelte dies in Steinwürfen auf einen Transporter der Hilfsorganisation Collective Aid. Hinter den Übergriffen steht vor allem ein Anwohner, der inzwischen für den Sachschaden an dem Fahrzeug haftbar gemacht wurde. Nicht aber für den Angriff gegen Personen.

Kategorien
Channel crossings & UK

Frankreich verstärkt die Seenotrettung im Ärmelkanal

Kurz nach dem Jahrestag der schweren Havarie vom 24. November 2021 ordnete die französische Premierministerin Élisabeth Borne nun eine Verstärkung der Seenotrettung für Geflüchtete im Ärmelkanal an. In einem ersten Schritt sollen zwei zusätzliche Schiffe für Rettungseinsätze gechartet, in einem zweiten ein System zur Überwachung der See mit Hilfe von Drohnen installiert werden.