Ein heute veröffentlichtes YouTube-Video zeigt einen Polizeieinsatz in Calais aus der Perspektive der Betroffenen. Die Aufnahmen dokumentieren das aggressive Verhalten gegen eine Bewohnerin des Jungle und gegen ihre minderjährige Tochter. Auch andere Gewaltakte wie das gezielte Sprühen von CS-Gas gegen den Kopf einer Person sind zu sehen. „Sind wir wirklich in Europa? Wir sind im Jungle“, heißt es im Untertitel des Films, was sehr genau auf den Punkt bringt, dass menschenrechtliche Normen an diesem Ort suspendiert sind.
Autor: tm
Neue Räumung
Abdulfatah Hamdallah
Im belgischen Mons begann am 6. August der Strafprozess u.a. gegen den Polizisten, der in der Nacht zum 17. Mai 2018 während der Verfolgung eines mutmaßlichen Schleuserfahrzeugs auf die Fahrerkabine geschossen und dadurch das kurdische Mädchen Mawda getötet hatte (siehe hier). Der Fall hatte in Belgien für erhebliches Aufsehen gesorgt. Eine Prozessbeobachterin berichtet.
Zone der Zäune
Eine Recherche in Calais
Die Räumungen ab dem 10. Juli haben (siehe u.a. hier) die migratorische Geographie Calais stärker verändert als jeder andere staatliche Intervention der vergangenen drei Jahre. Das vielleicht charakteristischste Symbol dieser Veränderung ist das, was eine Lokalzeitung kürzlich als Verbunkerung der Zone Industrielle des Dunes bezeichnet hat. Dort, wo bis vor einem Monat mehrere informelle Camps in ihrer Summe den Jungle of Calais bildeten, ist nun von Zäunen gesicherte Leere. Deshalb sind die Camps aber nicht verschwunden. Sie haben sich lediglich über die Stadt und ihre Nachbargemeinden neu verteilt und werden sich vielleicht zu einem neuen Jungle verdichten. Während die Bootspassagen über den Ärmelkanal zum politischen Topthema in Großbritannien wurden und internationale Aufmerksamkeit finden, haben wir uns am 9. August in Calais umgesehen.
Sommer der Passagen
Die Dynamisierung der Kanalroute und die Radikalisierung ihrer Bekämpfung
Über 4.000 Menschen sind seit Jahresbeginn auf über 300 kleinen Booten durch den Ärmelkanal nach Großbritannien eingereist. Vierzig Prozent der Passagen erfolgte seit dem 1. Juli, über 1.000 allein im Juli. Wenn die Situation anhält, werden in diesem Sommer so viele Passagen gelungen sein wie im gesamten Zeitraum seit der Etablierung der Kanalroute im Herbst 2019. Dies markiert einen bisherigen Höhepunkt der channel crossings und läßt die Dynamik dieser bislang wenig beachteten innereuropäischen Migrationsroute zu Tage treten. Zugleich radikalisiert die britische Regierung ihre Grenzpolitik und wird möglicherweise das Militär einsetzen. Wir verfolgen diese Dynamiken seit der Gründung des Blogs (siehe hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier) und werden sie weiter ausleuchten. Hier ein Überblick über die vergangenen Wochen.
Angesichts der massiven Räumungen ab dem 10. Juli 2020 (siehe hier, hier, hier und hier) richteten mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter die französische Flüchtlingshilfe Cimade, am 21. Juli einen offenen Brief an Innenminister Gérald Darmanin. Wir dokumentieren ihn in deutscher Übersetzung.
Die anhaltende Räumungswelle erzeugt eine Extremsituation, während sich eine zweite Welle der Corona-Pandemie abzeichnet
Während sich die öffentliche Gesundheitsfürsorge in den Departements Pas-de-Calais und Nord auf die zweite Welle der Corona-Seuche vorbereitet, zerstörte eine weitere Räumung den prekären Ort, an dem ein Großteil der Menschen aus dem drei Wochen zuvor zerstörten Jungle inzwischen lebte. Dieser Ort war der Dubrulle-Wald, eine etwa 200 mal 350 Meter große Waldparzelle am Rand des Industriegebiets Zone des Dunes, in der seit den ausgehenden 1990er Jahren immer wieder informelle Camps entstanden waren. Die Zerstörung des Jungle und die Räumung des Waldes (sowie eines weiteren Camps am gleichen Tag) verschärften die inhumane Situation der Migrant_innen ein weiteres Mal – und ließen viele von ihnen in das Zentrum der Stadt zurückkehren, aus dem man sie während der vergangenen Jahre systematisch verdrängt hatte.
Juristische Vorentscheidung im „Fall Mawda“
In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2018 endete eine Schleusung von Nordfrankreich über Belgien nach Großbritannien in einer Katastrophe. Auf einer Autobahn nahe der belgischen Stadt Mons schoss ein Polizist während einer Verfolgungsfahrt auf den Kleintransporter, in dem sich die Geflüchteten befanden. Dabei tötete er ein Kind: Die zweijährige Madwa, die mit ihrer kurdischen Familie in den Camps von Grande-Synthe und zuvor in Deuschland gelebt hatte. Der „Fall Mawda“ erregte in Belgien erhebliche Aufmerksamkeit. Nun fiel eine juristische Vorentscheidung bezüglich der Anklage gegen den Täter.