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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Zeigen der Gewalt

Mit Händen und Gesicht zu den Dixiklos: Geflüchtete in Calais während eines Polizeieinsatzes. (Standbild aus eine Video von Exilierten, Human Rights Observers und Utopia 56, siehe unten)

Ausgelöst durch die gewaltsame Räumung eines Protestcamps auf der symbolträchtigen Place de la République in Paris, ist die Auseinandersetzung um Polizeigewalt in das Zentrum der französischen Innenpolitik gerückt. Neben den massiven Räumungen migrantischer Camps in der Peripherie der Hauptstadt, gegen die die Besetzer_innen der Place de la République protestierten, geht es dabei auch um die Zukunft journalistischer und dokumentarischer Arbeit bei Polizeieinsätzen. Der in seiner ursprünglichen Formulierung zwecks Überarbeitung zurückgezogene Artikel 24 des Gesetz zur „Globalen Sicherheit“ sieht vor, Aufnahmen von Polizeibeamt_innen während des Einsatzes unter bestimmten (und zwar vage definierten und leicht konstruierbaren) Umständen mit erheblichen Geld- oder Haftstrafen zu sanktionieren. In welcher Form die Regelung am Ende formuliert sein wird, ist offen. Doch wird sie, sollte sie Gesetz werden, erhebliche Konsequenzen auch und gerade für Calais und Grande-Synthe haben. Denn die Strukturen und Routinen polizeilichen Handels würden durch die Verknappung oder das Verschwinden bildlichen Materials der sichtbaren Realität entzogen und gerade dadurch tendenziell weiter enthemmt werden. Das Abbilden und Zeigen der Gewalt (und notwendigerweise auch der Personen, die sie ausführen) ist aus menschenrechtspolitischer Sicht elementar. Werfen wir daher einen Blick auf die Bilder.

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Auf dem Weg zur tausendsten Räumung

Räumung in Grande-Synthe, 8. Dezember 2020. (Foto: Human Rights Observers)

Erwartungsgemäß hat sich die Menschenrechtslage für die Exilierten in Calais und Grande-Synthe nicht gebessert – weder im Kontext der zweiten Welle der Corona-Pandemie, noch angesichts der innenpolitischen Auseinandersetzungen über Polizeigewalt nach der gewaltsamen Räumung eines migrantischen Protestcamps auf der Place de la République in Paris. Unter erschwerten Bedingungen hat die Initiative Human Rights Observers nun aktuelle Berichte über den Monat November vorgelegt.

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Calais Channel crossings & UK Dunkerque & Grande-Synthe

Inventar der Toten

Über die Todesfälle im Kontext des kontinentaleuropäisch-britischen Grenzregimes haben wir wiederholt berichtet, auch eine empirische Analyse der verfügbaren Daten haben wir vorgelegt (siehe hier). Maßgeblich für diese und jede weitere Beschäftigung mit diesem Thema ist die langjährige Arbeit von Maël Galisson von der französischen Rechtshilfe-Initiative GISTI. Unter dem Titel Deadly Crossings and the militarisation of Britain’s borders haben das Londoner Institute of Race Relations und das Permanent Peoples‘ Tribunal nun eine Dokumentation Galissons veröffentlicht: ein „Inventar der Todesfälle“, wie er selbst es nennt, für den Zeitraum von 1999 bis 2020.

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Calais

Mohamed Khamisse Zakaria

Wie wir an dieser Stelle bereits berichteten, starb am 19. November ein junger Sudanese auf der Autobahn A 16 bei Calais (siehe hier). Inzwischen ist bekannt, dass es sich um Mohamed Khamisse Zakaria handelt. Weggefährten von ihm haben einen Nachruf veröffentlicht, den wir in deutscher Übersetzung dokumentieren.

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Channel crossings & UK

Neue Vereinbarung zur Externalisierung der britischen Grenze

Unterzeichnung der britisch-französischen Vereinbarung am 20. November 2020. (Quelle: Gérald Darmanin / Twitter)

Die britische Innenministerin Priti Patel und ihr französischer Amtskollege Gérald Darmanin schlossen am 28. November 2020 eine neue zwischenstaatliche Vereinbarung zur Bekämpfung der Bootspassagen nach Großbritannien. In einem gemeinsamen Statement sprechen sie von ihrer Entschlossenheit, „das Phänomen der kleinen Boote zu eleminieren (to eliminate the small boats phenomenon)“. Es ist jedoch absehbar, dass dies, wie ähnliche Ankündigungen der vergangenen Jahre, Rhetorik bleiben wird. Denn tatsächlich beinhaltet die Vereinbarung (oder das, was über sie bekannt gegeben wurde) nichts, das nicht auch in früheren Texten schon formuliert wurde. Was die neue Vereinbarung vor allem auszeichnet, ist ein Festhalten an etablierten Mustern der Sekuritisierung (siehe hier) und vor allem: der Externalisierung der britischen Grenzpolitik auf französisches Territorium. Schauen wir uns die Sache genauer an.

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Calais

Erneute Räumung in Calais

Wie die Zeitung La Voix du Nord am 27. November 2020 berichtete, wurde am gleichen Tag um 6:30 Uhr erneut ein Camp in Calais geräumt. Betroffen war wieder das Gebiet um die Calypso-Halle, wo bereits mehrfach Räumungen stattgefunden hatten (siehe hier). Im Juli lebten dort nach Aussage zivilgesellschaftlicher Hilfsorganisationen etwa 300 Migrant_innen, aktuell ca. 100 Personen. Es handelt sich um den Typus von Räumungen, bei denen Bewohner_innen oftmals gegen ihren Willen in Unterbringungszentren (CAES) außerhalb der Stadt gebracht werden. Nach Angaben der Präfektur wurde am 27. November 81 Personen in solche Einrichtungen im Departement Pas-de-Calais gebracht. Die Räumungen gehen also nach wie vor weiter. Die letzte größere Operation dieser Art hatte am 13. November stattgefunden (siehe hier).

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Channel crossings & UK

Die Sekuritisierung der Kanalgrenze

von Thom Tyerman und Travis Van Isacker

Vorbemerkung: Der folgende Essay behandelt das kontinentaleuropäisch-britische Grenzergime vor dem Hintergrund der zahlreichen Bootspassagen im Sommer 2020. Er wurde am 9. Oktober unter dem Titel Border Securitisation in the Channel auf dem Blog Border Criminlogies veröffentlicht. Der Blog stützt sich auf ein transnationales Netzwerk zur Grenzregimeforschung und ist am Centre for Criminology der Universität Oxford angesiedelt. Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit politischen Aktivist_innen, die zum britischen Grenzregime in Nordfrankreich arbeiten, darunter: Watch the Channel, Calais Migrant Solidarity und Calais Research. Die Autoren forschen über die Sekuritisierung der britischen Grenzen und haben u.a. über Räumungen migrantischer Lebensorte in Calais publiziert. Im Mittelpunkt des folgenden Textes steht die Fragen, inwiefern die zunehmende Grenzsicherung die Risiken der Kanalquerung verstärkt und ob die Forderung nach legalen und sicheren Routen tatsächlich einen Ausweg aus dieser Situation eröffnet.

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Benelux & Deutschland

Strafverfahren im Fall Mawda beginnt

Mawda. (Foto: privat)

Am heutigen 23. November beginnt im belgischen Mons der Strafprozess, der die Schuld am Tod des kurdischen Mädchens Mawda klären soll. Das in Deutschland geborene Kind hatte mit seiner Familie in den Camps von Grande-Synthe gelebt und war während einer Schleusung, die über Belgien abgewickelt wurde, in der Nacht zum 17. Mai 2018 von einem belgischen Polizisten erschossen worden. Die Schüsse fielen, als das für die Schleusung benutzte Fahrzeug bereits nicht mehr entkommen konnte und anhielt. Der Fall wurde in Belgien als öffentlicher Skandal begriffen; das oben abgebildete Foto Mawdas wurde dabei zum Symbol für Polizeigewalt gegen Geflüchtete. Angeklagt sind nun der Todesschütze und als mutmaßlicher Schleuser der Fahrer des Fahrzeugs.

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Calais

Polizeiübergriff mit Schwerverletztem, offener Brief der Eritreer_innen in Calais

Am 11. November gegen 15:00 eskaliert ein Polizeieinsatz auf dem Camp am BMX-Gelände in Calais [1]. Ein CRS-Beamter schießt einem Eritreer mit einem Gummigeschoss ins Gesicht und verletzt ihn schwer. Die Polizei behindert den Transport des Schwerverletzten, der auch noch eine Woche später im Krankenhaus behandelt werden muss, wo er nach wie vor nicht ansprechbar ist, und sein Zustand als kritisch eingeschätzt wird. Die Eritreer_innen in Calais wenden sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit.

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Calais

Der 297. Tote

[Update vom 21.11.2020] Wie die Präfektur mitteilte und verschiedene französische Medien berichteten, ist am gestrigen 19. November 2020 erneut ein Geflüchteter während der Transitmigration nach Großbritannien gestorben. Das Unglück ereignete sich auf der Küstenautobahn A 16 in der Nähe des Kanaltunnels. Der junge Mann von Anfang zwanzig wurde dort von einem Auto angefahren und schwer verletzt ins Krankenhaus von Calais eingeliefert, wo er kurz darauf starb. Über die Identität und Biographie des Opfers ist bislang lediglich bekannt, dass er aus dem Sudan kam.