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Calais

Räumungen in Virval und am Krankenhaus

Am gestrigen 25. Februar 2021 führte die Präfektur im Stadtteil Vivral und am Krankenhauses erneut sogenannte mise à l’abri-Operationen durch. Es handelt sich um vermeintlich humanitäre Räumungen, in deren Verlauf die Bewohner_innen der betroffenen Camps nominell freiwillig, oftmals aber gegen ihren Willen, in Zentren (CAES) außerhalb von Calais gebracht werden. Während der aktuellen Räumungen wurden mehr als hundert Personen in diese Einrichtungen transportiert und mehr als 20 festgenommen.

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Calais Solidarität

Zivilgesellschaftliche Beherbergungen in der Frostperiode

Beherbergung in der „Krippe“, Calais. (Foto: Julia Druelle)

Die heftige Frostperiode, über die wir zuletzt berichteten, ist vorüber. Die Behörden haben den vorübergehend aktivierten plan Grand froid (Großer Frost-Plan) – ein staatliches Programm zur Bereitstellung von Notunterkünften bei Frost – wieder außer Kraft gesetzt. Während dieser kritischen Phase besuchte der Calaiser Blog Passeurs d’hospitalités zwei lokale Initiativen, die Geflüchtete jenseits der behördlichen Maßnahmen unterstützen. Beide Initiativen haben einen kirchlichen Hintergrund und stehen medial eher im Schatten größerer und säkularer Akteure wie Auberge des migrants, Utopia 56 oder Care4Calais. Wir veröffentlichen im Folgenden eine Übersetzung des am 14. Februar publizierten Berichts, der exemplarisch die Möchlichkeit einer menschenwürdigen Beherbergung auf zivilgesellschaftlicher Basis aufzeigt:

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Dunkerque & Grande-Synthe

Erneut ein Todesopfer

Erneut starb ein Mensch im Kontext des britisch-kontinentaleuropäischen Grenzregimes. Nach Angaben verschiedener zivilgesellschaftlicher Initiativen handelt es sich um Loghman, einen iranischen Kurden, der in den Camps von Puythouck in Grande-Synthe bei Dunkerque gelebt hatte. Seine Leiche war am 4. Februar 2021 auf einem Lastwagen in der Nähe der belgisch-französischen Grenze bei Valenciennes entdeckt worden. Von dort führen Autobahnen in Richtung der Fährhäfen von Calais und Dunkerque.

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Allgemein

In eigener Sache

Ein Beitrag für das Projekt „Migration Control“

Im Jahr 2015 startete auf Initiative der taz das Projekt Migration Control, das sich kritisch der Vorverlagerung der EU-Außengrenzen nach Süden widmet. Inzwischen wird das Projekt von einem Netzwerk antirassistischer und wissenschaftlicher Initiativen unter Federführung der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration weitergeführt. Unter dem Titel Calais – Großbritanniens externalisierte Grenze haben wir dort nun einen Beitrag veröffentlicht, der u.a. auf diesem Blog aufbaut. Unser Kerngedanke ist es, „Calais“ – verstanden eine komplexe Migrations- und Grenzsituation in einem weit über die Stadt hinausgreifenden Raum – als einen vergleichbaren Prozess der Vorverlagerung einer Grenze zu untersuchen. Beginnend um die Jahrtausendwende, behandeln wir zunächst die Entwicklung des Jungle von Calais zu einer informellen Stadt in den Jahren 2015/15 und die (nicht erst seitdem) dominante Politik der „hostile environment“, also der Erzeugung einer feindseligen und unwirtlichen Umwelt für die in Nordfrankreich ausharrenden Migrant_innen. Vor diesem Hintergrund geht es um die folgenreiche Etablierung einer maritimen Migrationsroute zur Passage des Ärmelkanals, die anhaltende Sekuritisierung der Kanalgrenze und die Bedeutung des Brexit für das zu Grunde liegende Grenzregime. Wir danken der Fotografin Julia Druelle und dem Journalisten Daniel Zylbersztajn-Lewandowski, die den Beitrag durch ihre Bilder bereichert haben.

English version: https://migration-control.info/en/wiki/calais/

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Benelux & Deutschland

Urteil im Prozess um den Tod von Mawda

Mawda (Foto: privat)

Im belgischen Mons ist am 12. Februar 2021 das Urteil im Straverfahren um den Tod des kurdischen Mädchens Mawda gesprochen worden. Das im nordrhein-westfälischem Mönchengladbach geborene Kind hatte mit seiner Familie in den Camps von Grande-Synthe gelebt, um von dort nach Großbritannien zu gelangen. Während einer auf dem Umweg über Belgien durchgeführten Schleusung starb Mawda in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2018 im Alter von zwei Jahren durch einen Schuss, den ein belgischer Polizist auf das Fahrzeug mit den Migrant_innen abgegeben hatte. Das Fahrzeug wurde zu diesem Zeitpunkt bereits von mehreren Polizeifahrzeugen verfolgt und konnte praktisch nicht mehr entkommen (siehe hier und hier). Angeklagt waren neben dem Polizisten auch der Fahrer und eine dritte Person. Die beiden Erstgenannten wurden nun schuldig gesprochen und zu Haftstrafen (im Fall des Polizisten auf Bewährung) verurteilt. Wir werden die Hintergründe des Falls anhands der Erkenntnisse, die belgische Beobachter_innen des Prozesses gewinnen konnten, in einem separaten Beitrag ausleuchten. Hier zunächst ihr Bericht über die Urteilsverkündung:

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Calais Dunkerque & Grande-Synthe

Frost

Über eine lebensbedrohliche Lage und ihren Kontext

Verschneites Zelt in einem behelfsmäßigen Camp von Geflüchteten im nordfranzösischen Grande-Synthe, Februar 2021 (Foto: Julia Durelle)

Das übliche Winterwetter in Nordfrankreich ist nasskalt, mit Temperaturen etwas über dem Gefrierpunkt, kaltem Wind und aufgeweichten Böden. Dies macht das Leben in einem Camp schwer, zermürbend und ungesund. Frostperioden hingegen sind selten. In der vergangenen Woche aber frierte es kontinuierlich. Die Temperaturen fielen auf minus sechs bis sieben Grad, gefühlt lagen sie noch darunter. Die Behörden aktivierten humanitäre Notfallpläne für die in den Camps lebenden Menschen. Natürlich ist dies zu begrüßen. Aber dennoch zeigt sich nun drastisch, wie unzureichend solche Maßnahmen sind, und mehr noch: dass auch ihnen die Logik eingeschrieben ist, die Lebensbedingungen auch dann abschreckend zu erhalten, wenn es das Schlimmste zu verhindern gilt.

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Calais Channel crossings & UK

Brief einer Mutter über den Verlust ihres Kindes

Im September 2020 starb im Zusammenhang mit den Bootspassagen nach Großbritannien ein nur wenige Tage alter Säugling. Dieser Todesfall wurde erst jetzt bekannt, nachdem sich die Mutter in einem offenen Brief (siehe unten) an die Öffentlichkeit gewandt und die französische Polizei für den Verlust ihres Kindes verantwortlich gemachte hatte. Veröffentlicht wurde das Schreiben auf der Website der Calais Migrant Solidarity, die hierzu ergänzt: Das Mädchen Aleksandra H. wurde am 2. September 2020 geboren und starb am 5. September 2020 an perinataler Anoxie infolge einer Frühgeburt. Ihre Familie, so auch die hochschwangere Mutter, wurde an einem Strand von der Polizei abgefangen, nachdem sie versucht hatte, per Boot nach Großbritannien zu gelangen. Sie waren geschockt, durchnässt und froren, und obwohl sie um Hilfe baten, mussten sie mehr als fünf Stunden warten, bevor sie sich ins Krankenhaus begeben konnten. Vorher hatte die Frau keine medizinische Behandlung erhalten. Eine Notgeburt wurde durchgeführt, aber trotz der Bemühungen der Ärzt_innen überlebte das Baby nicht. Inzwischen haben die Eltern Klage eingereicht; durch den Brief möchte die Mutter erreichen, dass ihre Geschichte gehört wird.

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Calais

Leichenfund im Fährhafen

Zum zweiten Mal innerhalb eines knappen Jahres ist im Fährhafen von Calais die Leiche eines Menschen gefunden worden. Der Zeitung La voix du Nord zufolge fanden Arbeiter am 1. Februar 2021 einen im Wasser schwimmenden Körper, der sich bereits in einem „fortgeschrittenen Stadium der Verwesung“ befunden habe. Nach Angaben des Staatsanwalts Pascal Marconville sei der Leichnam außerdem in der Höhe des Rumpfs fast durchtrennt gewesen, eventuell durch eine Schiffsschraube. Eine Autopsie soll nun Rückschlüsse auf die Todesursache und die Identität erbringen. Von den lokal tätigen Vereinigungen der Geflüchtetenhilfe sei keine Person als vermisst gemeldet. Gleichwohl gehe die Staatsanwaltschaft davon aus, dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Migranten handelt. Sollte sich dies bestätigen, so wäre es der 298. dokumentierte Todesfäll im Zusammenhang mit dem britisch-kontinentaleuropäischen Grenzregime.

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Channel crossings & UK Solidarität

Ende eines legalen Weges

„Großbritannien schließt die Tür für unbegleitete Flüchtlingskinder“, titelte die Zeitung The Independent am 26. Januar 2021. Hintergrund war eine Erklärung des britischen immigration minister (vergleichbar einem deutschen Staatssekretär) Chris Philp vier Tage zuvor. Der konservative Politiker hatte dargelegt, dass die britische Regierung nur noch in sehr begrenzten Fällen unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufnehmen werde. Ohne es direkt auszusprechen, erklärte Philp damit ein humanitäres Aufnahmeprogramm für beendet, das der Labour-Politiker Lord Alfred Dubs im Mai 2016 nach dem Vorbild der historischen „Kindertransporte“ der Jahre 1938/39 im britischen Einwanderungsrecht verankert hatte.

Ankunft eines „Kindertransports“ in London, Februar 1939. (Bildquelle: Wikipedia / Bundesarchiv, Bild 183-S69279 / CC-BY-SA 3.0)
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Calais

Massive Räumung im Zentrum von Calais

Räumung in der Calaiser Innenstadt, 19. Januar 2021. Im Hintergrund das Rathaus, von wo aus die Operation veranlasst wurde. (Foto: Cabane Juridique)

In der Calaiser Innenstadt hat am gestrigen 19. Januar 2021 eine der größten Räumungsoperationen der letzten Moante stattgefunden. Sie richtete sich gegen Migrant_innen, die ihre Zelte unter Brücken an den Quais in der Nähe des Rathauses aufgestellt hatten. Die Räumung war erwartet worden, nachdem am 16. Dezember 2020 eine entsprechende Verfügung das Stadt Calais ausgehängt worden war und das Verwaltungsgericht in Lille die Räumung am 24. Dezember erlaubt hatte (siehe hier). Gleichwohl bezeichnen Beobachter_innen den Umfang der Operation als außergewöhnlich.