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Ende eines legalen Weges

„Großbritannien schließt die Tür für unbegleitete Flüchtlingskinder“, titelte die Zeitung The Independent am 26. Januar 2021. Hintergrund war eine Erklärung des britischen immigration minister (vergleichbar einem deutschen Staatssekretär) Chris Philp vier Tage zuvor. Der konservative Politiker hatte dargelegt, dass die britische Regierung nur noch in sehr begrenzten Fällen unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufnehmen werde. Ohne es direkt auszusprechen, erklärte Philp damit ein humanitäres Aufnahmeprogramm für beendet, das der Labour-Politiker Lord Alfred Dubs im Mai 2016 nach dem Vorbild der historischen „Kindertransporte“ der Jahre 1938/39 im britischen Einwanderungsrecht verankert hatte.

Ankunft eines „Kindertransports“ in London, Februar 1939. (Bildquelle: Wikipedia / Bundesarchiv, Bild 183-S69279 / CC-BY-SA 3.0)
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Mehr Bootspassagen im Januar

Interaktion eines Schiffs der Border Force und eines Boots von Migrant_innen am Morgen des 10. Januar 2021 (Foto: Channel Rescue / Twitter)

Trotz der eisigen Temperaturen, aber begünstigt durch eine ruhige Wetterlage, hat die Zahl der Bootspassagen in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. Am 9. Januar erreichten 103 Menschen Großbritannien per Boot; dies waren mehr als im gesamten Januar 2020, als es knapp 100 gewesen waren. Weitere 20 Personen schafften die Kanalquerung am 10. Januar.

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2020: Das Jahr der Bootspassagen

Im Jahr 2020 passierten sehr viel mehr Migrant_innen den Ärmelkanal in Booten als jemals zuvor. Laut verschiedenen britischen Quellen waren es über 8.400, vielleicht über 8.700 Personen und mehr als 500 Boote – mehr als viermal so viele wie im Vorjahr und ein Vielfaches mehr als in früheren Zeiten. Während dies nur einen Bruchteil des Migrationsgeschehens nach Großbritannien ausmacht, sind die Boote zur vorherrschenden und effizientesten Migrationstechnik im Calais-Kontext geworden. Aber trotz ihrer hohen Erfolgsausicht hat diese Migrationstechnik Schattenseiten.

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„Ich halte das Recht auf Freizügigkeit für die beste Lösung“

Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 3)

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Gäber von Migrant_innen im muslimischen Bereich des Nordfriedhofs in Calais. (Foto: Th. Müller, April 2016)

Im letzten Teil des Interviews spricht Maël Galisson über die Todesfälle auf See, über die Sekuritisierung des Ärmelkanals, über den Umgang mit den Körpern der Toten und über das, was politisch zu tun wäre.

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„Wenn sich ein Migrationspfad schließt, öffnen sich andere, gefährlichere“

Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 2)

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Mural von Banksy am Strand vom Calais. (Foto: Th. Müller, Oktober 2016)

Im zweiten Teil des Interviews schildert Maël Galisson einige der insgesamt 297 erfassten Todesfälle im französisch-britischen Grenzraum. Er analysiert die historische und geographische Entwicklung und geht insbesondere den Todesursachen nach: Es sind, so Galisson, vor allem strukturelle Ursachen – untrennbar verbunden mit der Grenz- und Migrationspolitk beider Länder.

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„Ich glaubte, dass diese Grenze ein blinder Fleck sei“

Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 1)

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Silhouetten auf dem Asphalt vor dem Fährhafen von Calais. (Foto: Th. Müller, April 2016)

Maël Galisson dokumentiert seit vielen Jahren die Todesfälle von Exilierten im französisch-britischen Grenzraum. Für die Rechtshilfe-Initiative GISTI, das Londoner Institute of Race Relations und das Permanent Peoples‘ Tribunal legte er kürzlich die Studie Deadly Crossings and the militarisation of Britain’s borders vor, die wir an dieser Stelle bereits vorgestellt haben (siehe hier). In einem Interview mit unserem Blog gibt Maël Galisson nun Auskunft über sein Projekt, diese Grenztoten in Erinnerung zu halten, über die tödlichen Folgen der momentanen Grenz- und Migrationspolitik, über zynische Instrumentalisierungen und über das Unsichtbarmachen der Opfer über ihren Tod hinaus. Wir veröffentlichen das schriftlich geführte Interview in mehreren Teilen.

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Verschärftes Einwandungsrecht für die Post-Brexit-Phase

Ohne großes öffentliches Aufsehen hat die britische Regierumg eine Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen vorgenommen, die zum Vollzug des Brexit am Jahreswechsel 2021/21 in Kraft treten wird. Kern der neuen Bestimmungen ist eine Drittstaatenregelung, nach der Asylanträge ab dem 1. Januar 2021 als „unzulässig“ gelten, wenn die Person über ein „sicheres Drittland“ bzw. über die EU nach Großbritannien gelangt ist; außerdem erlaubt die Regelung unter bestimmten Umständen die Abschiebung in beliebige Drittländer. Die Verschärfung richtet sich u.a. gegen die Bootsmigrant_innen auf der Kanalroute und kann, wie die französisch-britische Vereinbarung vom 28. November 2020 (siehe hier), als Baustein des Post-Brexit-Grenzregimes angesehen werden. Faktisch wird sie die Rechtsunsicherheit von Migrant_innen in Großbritannien erhöhen und ihnen ein Leben in limbo zumuten.

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Inventar der Toten

Über die Todesfälle im Kontext des kontinentaleuropäisch-britischen Grenzregimes haben wir wiederholt berichtet, auch eine empirische Analyse der verfügbaren Daten haben wir vorgelegt (siehe hier). Maßgeblich für diese und jede weitere Beschäftigung mit diesem Thema ist die langjährige Arbeit von Maël Galisson von der französischen Rechtshilfe-Initiative GISTI. Unter dem Titel Deadly Crossings and the militarisation of Britain’s borders haben das Londoner Institute of Race Relations und das Permanent Peoples‘ Tribunal nun eine Dokumentation Galissons veröffentlicht: ein „Inventar der Todesfälle“, wie er selbst es nennt, für den Zeitraum von 1999 bis 2020.

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Neue Vereinbarung zur Externalisierung der britischen Grenze

Unterzeichnung der britisch-französischen Vereinbarung am 20. November 2020. (Quelle: Gérald Darmanin / Twitter)

Die britische Innenministerin Priti Patel und ihr französischer Amtskollege Gérald Darmanin schlossen am 28. November 2020 eine neue zwischenstaatliche Vereinbarung zur Bekämpfung der Bootspassagen nach Großbritannien. In einem gemeinsamen Statement sprechen sie von ihrer Entschlossenheit, „das Phänomen der kleinen Boote zu eleminieren (to eliminate the small boats phenomenon)“. Es ist jedoch absehbar, dass dies, wie ähnliche Ankündigungen der vergangenen Jahre, Rhetorik bleiben wird. Denn tatsächlich beinhaltet die Vereinbarung (oder das, was über sie bekannt gegeben wurde) nichts, das nicht auch in früheren Texten schon formuliert wurde. Was die neue Vereinbarung vor allem auszeichnet, ist ein Festhalten an etablierten Mustern der Sekuritisierung (siehe hier) und vor allem: der Externalisierung der britischen Grenzpolitik auf französisches Territorium. Schauen wir uns die Sache genauer an.

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Die Sekuritisierung der Kanalgrenze

von Thom Tyerman und Travis Van Isacker

Vorbemerkung: Der folgende Essay behandelt das kontinentaleuropäisch-britische Grenzergime vor dem Hintergrund der zahlreichen Bootspassagen im Sommer 2020. Er wurde am 9. Oktober unter dem Titel Border Securitisation in the Channel auf dem Blog Border Criminlogies veröffentlicht. Der Blog stützt sich auf ein transnationales Netzwerk zur Grenzregimeforschung und ist am Centre for Criminology der Universität Oxford angesiedelt. Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit politischen Aktivist_innen, die zum britischen Grenzregime in Nordfrankreich arbeiten, darunter: Watch the Channel, Calais Migrant Solidarity und Calais Research. Die Autoren forschen über die Sekuritisierung der britischen Grenzen und haben u.a. über Räumungen migrantischer Lebensorte in Calais publiziert. Im Mittelpunkt des folgenden Textes steht die Fragen, inwiefern die zunehmende Grenzsicherung die Risiken der Kanalquerung verstärkt und ob die Forderung nach legalen und sicheren Routen tatsächlich einen Ausweg aus dieser Situation eröffnet.