Die Häufung von Todesfällen im Zusammenhang mit dem britisch-kontinentaleuropäischen Grenzregime endet nicht. Am 25. März 2022 starb ein eritreischer Exilierter, als er auf einem Güterzugs im Bahnhof von Valenciennes einen Stromschlag auslöste; drei weitere Eritreer wurden dabei verletzt. Offenbar hatten sie versucht, sich auf dem Dach eines Zuges nach Calais bzw. Großbritannien zu verstecken. Der Stromschlag löste außerdem eine Reihe von Explosionen aus, die den Betrieb des Bahnhofs zeitweise unmöglich machten.
Schlagwort: Todesfälle
Tod auf der A 16
Erneut ist in der Nähe von Calais ein junger Sudaner ums Leben gekommen. Wie lokale Medien berichten, wurde er am Morgen des 10. März 2022 auf der Küstenautobahn A 16 bei Nouvelle-Église, einer kleinen Gemeinde westlich von Calais, von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Seine Identität scheint bislang unklar zu sein. Doch gaben die Behörden inzwischen bekannt, dass es sich um einen Mann in den Zwanzigerjahren seines Lebens handelt, der erst wenige Tage zuvor allein nach Frankreich gekommen sei. Am Tag nach seinem Tod veranstalteten lokale Organisationen in Calais eine Gedenkfeier und prangerten erneut die Gewaltförmigkeit des britisch-kontinentaleuropäischen Grenzregimes an. Es handelt sich um den 349. dokumentierten Todesfall in diesem europäischen Grenzraum seit 1999. Seit Herbst vergangenen Jahres sind in/bei Calais bereits mehrere Jugendliche und junge Männer meist sudanischer Nationalität getötet worden, als sie versuchten, auf fahrende Lastwagen aufzuspringen, oder weil sie von Fahrzeugen und Zügen erfasst wurden (siehe hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier).
Für Abubaker
Die Familie und Freund_innen von Abubaker, der am 28. Februar in der Nähe des Camps Old Lidl an der Grenze Calais‘ zu seiner Nachbargemeinde Marck von einem Zug erfasst und tödlich verletzt worden ist, haben sich mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, die wir hier in eigener Übersetzung veröffentlichen.
Tod am Old Lidl
Wieder ist ein Exilierter im Kontext des britisch-französischen Grenzregimes gestorben: Am 28. Februar gegen 19:15 Uhr wurde ein Mann aus dem Sudan in der Nähe des Camps Old Lidl an der Grenze Calais‘ zu seiner Nachbargemeinde Marck von einem Zug erfasst und tödlich verletzt. Die Präfektur des Pas-de-Calais gibt sein Alter mit 25 Jahren an. Der Mann sei mit einem Begleiter auf dem Bahngleis unterwegs gewesen, dieser habe nach einem akustischen Signal ausweichen können und sei unverletzt geblieben sei (vgl. InfoMigrants und Nord Littoral). Näheres über die Identität des Opfers ist bislang nicht bekannt.
Notrufe ins Leere
Neue Erkenntnisse zur tödlichen Havarie am 24. November 2021
Wir haben an dieser Stelle mehrfach über die Havarie berichtet, die am 24. November 2021 mindestens 27 Menschen inmitten des Ärmelkanals das Leben kostete (siehe hier, hier, hier und hier). In den Wochen danach griffen wir Berichte der beiden Überlebenden auf, denen zufolge die Menschen auf dem havarierten Boot bereits frühzeitig Notrufe abgesetzt hatten, jedoch stundenlang keine Rettung erfolgte. Ihre Anklage, die von verschiedenen Indizien gestützt wurden, ging noch weiter: Die französischen und britischen Leitstellen hätten wechswelseitig behauptet, das Boot befände sich um Gebiet des jeweils andere Staat und dieser sei für die Rettung zuständig (siehe hier, hier und hier). Bis heute ist nicht genau bekannt, was in den Nacht- und Morgenstunden des 24. November geschah, doch bestätigen Recherchen von France Inter die Aussagen der Überlebenden nun in einem wesentlichen Punkt.
Der bislang letzten Menschen, der infolge der britisch-französischen Grenzpolitik starb, war Mohamad Abdallah Youssef aus dem Sudan (siehe hier). Am 4. Februar 2022 setzten Freunde und Weggefährten ihn auf dem Nordfriedhof von Calais bei. Zwei Tage später demonstrierten rund 500 Menschen in Calais zum Gedenken an die Toten der Grenze. „Ich habe ihn wegen der geschlossenen Grenze verloren,“ erklärte Mohamads Cousin auf der Kundgebung. Die Demonstration war Teil des internationalen Gedenk- und Protesttags CommemorAction bzw. Commémoraction in Erinnerung an die Tötung von mindestens 15 Exilierten durch die spanische Guardia Civil am 6. Februar 2014 (siehe hier). Wir dokumentieren den Protest anhand einer Bilderserie der Calaiser Fotografin Julia Druelle.
Marsch für die Toten der Grenze
Als am 6. Februar 2014 die spanische Guardia Civil gewaltsam gegen den Versuch einiger hundert Geflüchteter vorging, die stark gesicherte Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta zu überqueren, wurden 15 Menschen getötet, weitere blieben vermisst. Sechs Jahre nach diesem Gewaltakt, den sie als Massaker von Tarajal erinnerten, trafen sich Angehörige der Opfer und der Vermissten, politische und künstlerische Aktivist_innen im marokkanischen Oujda zum Gedenken und zum Protest, kurz: CommemorAction. Daraus bildet sich seitdem eine internationale Bewegung, die den 6. Februar als „Tag des Kampfes gegen das Regime des Todes an den Grenzen“ begreift und mit der Forderung nach „Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung für die Migrationsopfer und ihre Familien“ verbindet. An zahlreichen Orten werden an diesem Tagen dezentrale Aktionen stattfinden, die sowohl Gedenken als auch Protest sein sollen. Einer dieser Orte ist Calais. Wir dokumentieren im Folgenden den Aufruf zur Teilnahme.
Ein weiterer Tod in Calais
[Mit einem Update vom 7. Februar 2022] Am heutigen 25. Januar 2022 starb in Calais erneut ein Exilierter. Bislang wurden keine Angaben über seine Identität, das Alter oder die Nationalität veröffentlicht. Bekannt ist lediglich, dass die Nationalpolizei gegen 6:45 Uhr eine leblose Person im Bereich der Calaiser Hafenautobahn entdeckte. Medienberichten zufolge konnte die Person von den Rettungskräften nicht reanimiert werden. Es wird vermutet, dass er von einem Fahrzeug erfasst wurde und infolge der Verletzungen starb. Es ist der zweite Todesfall eines Exilierten im Gebiet von Calais seit Jahresbeginn, nachdem bereits am 15. Januar ein junger Mann aus dem Sudan im Gewerbegebiet Transmarck beim Versuch, auf einen Lastwagen zu gelangen, getötet worden war (siehe hier).
Ein Gericht in Brügge hat Mitglieder eines belgischen Schleuser-Rings wegen des Todes von 39 Vietnames*innen verurteilt. Der Prozess wirft ein Licht auf die EU-Hauptstadt als Zentrum des Menschenschmuggels Richtung Großbritannien.
Permanente Havarie
Der 24. November 2021, an dem 27 Passagiere eines Schlauchboots im Ärmelkanal ertranken, rückt in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr in den Hintergrund. Eine neue Tragödie solcher Dimension kann sich unterdessen jeden Tag ereignen.